Kategorie: <span>Theodor Fontane bittet zur Geisterstunde</span>

Wilhelm Rose (1781 – 1841)

Lehrer in Pharmazie und Literatur

In meiner Berliner Apotheke „Zum weißen Schwan“ in der Spandauer Straße, nicht weit vom Hackeschen Markt entfernt, reifte Theodor Fontane von 1836 bis 1840 gleichermaßen zum Apotheker wie zum Schriftsteller. Bei aller Bescheidenheit: Das geistige Klima in meinem Hause war dafür bestens geeignet. Mein Vater war der Vormund des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel, nachdem dieser seinen Vater beim großen Neuruppiner Stadtbrand von 1787 verloren hatte. Schinkels Mutter war eine geborene Rose. Er half uns, die Apotheke „Zum weißen Schwan“ 1802 nach neuesten Erkenntnissen umzubauen. Immerhin hatten bereits meine Vorfahren das Familienunternehmen zu einer anerkannten Forschungsstätte der deutschen Pharmazie gemacht, die viele Gelehrte anzog. Dabei spielte Martin Heinrich Klaproth, der Herausgeber des ersten preußischen Arzneibuchs,  eine wichtige Rolle.

Nun wieder zu Theodor Fontane. Er war außerordentlich wissbegierig und lernte schnell. Dadurch konnte ich ihm von den vier Jahren, auf die die Apotheker-Lehre angesetzt war, ein halbes erlassen. Dennoch blieb er noch ein ganzes Jahr bei mir. Über diese Zeit verfasste Fontane in seinem autobiografischen Roman „Von Zwanzig bis Dreißig“ ein ganzes Kapitel. Mich beschrieb er darin ziemlich ironisch als einen skurrilen Menschen mit einer besonders hohen Meinung von sich selbst. Einer meiner hervorstechenden Charakterzüge sei es gewesen „alles, was von ihm ausging oder ihm zugehörte, gründlich zu bewundern, versteht sich von selbst; seine Apotheke war die berühmteste, sein Laboratorium war das schönste, seine Gehülfen und Lehrlinge waren die besten oder doch wenigstens durch sein Verdienst am besten untergebracht, und seine Kerbelsuppe (die wir jeden Mittwoch kriegten – eine furchtbare Semmelpampe) war die frühlingsgrünste, die gesündeste, die schmackhafteste. Jegliches, was seine Hand berührte, nahm schon dadurch einen Höhenstandpunkt ein, in Wahrheit aber war alles nur knapp zu mittelmäßig.“ So hat er es mir gegeben.

Aber gerecht war er trotzdem, der Fontane. Er hielt mir zugute, dass ich schon etwas von der Welt gesehen hatte: England, Frankreich, Italien…  Besonders die Schweiz hatte es mir angetan. Allzu gern hielt ich darüber „vor einem aus jungen und zum Teil recht hübschen Professorenfrauen“ zusammengesetzten Kreis gelehrte Vorträge. Bleiben wir bei Fontane: „Er war dann, den ganzen Tag über, in einer höchsten Aufregung, schnaufte durchs ganze Haus hin – wie denn Schnaufen überhaupt eine Haupteigenschaft von ihm war – und schleppte dabei Reliefkarten und illustrierte Werke vier Treppen hoch auf einen kleinen, achteckigen Turm hinauf, der, ganz oben, mit einem mit vielen bunten Aussichtsglasscheiben reich ornamentierten Zimmer abschloß. Stieg man dann, und zwar durch eine aufzuklappende Lukentür, noch etwas höher hinauf, so hatte man, von einer umgitterten Plattform aus, einen wundervollen Überblick über Alt-Berlin. In diesem Turmzimmer, das nach Alchimie und Astrologie, nach Faust und Seni schmeckte, versammelten sich die zur Vorlesung geladenen Damen, und ich sage schwerlich zu viel, wenn ich ausspreche, daß der alte Rose in diesem Allerheiligsten die glücklichsten Stunden seines Daseins verbracht habe.“

In meiner Apotheke fand der Lehrling und spätere Gehilfe Fontane eine große Auswahl der damaligen Gegenwartsliteratur – und er verschlang sie in erstaunlichem Tempo. Ich sorgte gern für Nachschub. Auch führte er sich den von mir abonnierten „Telegraph“ zu Gemüte. Doch damit nicht genug: In ruhigen Minuten kritzelte er sogar eigene Verse aufs Papier. Der Apotheker mauserte sich zum Literaten. Der „Berliner Figaro“ druckte 1839 seine erste, in meinem Haus entstandene Novelle „Geschwisterliebe“ ab. Fontane verließ meine Apotheke, um eine Stelle als Apothekergehilfe in Burg bei Magdeburg anzutreten.

Gustav Kühn (1794 – 1868)

Erste Eindrücke eines künftigen Journalisten

Theodor Fontane, der Grandseigneur des Berliner Journalismus, hat meine „Neuruppiner Bilderbogen“ stets sehr wohlwollend begleitet. Nein, sie waren für ihn nicht der Höhepunkt des Pressewesens. Er brauchte nicht die vereinfachten Darstellungen der großen Ereignisse unserer Zeit, um sich sein Weltbild zu erschaffen. Lesen Sie seine Balladen und Sie werden erleben, welche Kunstfertigkeit er in der Schilderung ferner und atemberaubender Geschehnisse besaß. Aber Fontane zeigte viel Respekt vor der Kunst unserer Bilderbogen. Ich selbst bin gebürtiger Neuruppiner. Nach meinem Studium an der Berliner Kunstakademie übernahm ich 1822 die Firma meines Vaters. 

Wir waren einerseits eine ganz normale Buchdruckerei und andererseits ein Verlag, der Blätter mit handkolorierten Bildergeschichten herstellte und vertrieb. Ich bin sicher, dass bereits der Gymnasiast Fontane diese Dreipfennig-Bögen staunend in der Hand hielt und sich mit ihrer Hilfe in ferne Welten träumte. Vielleicht legten sie sogar den Grund für seine schriftstellerische Fantasie. Nach Fontanes Worten illustrierte der Kühn‘sche Bilderbogen, lange bevor die erste »Illustrierte Zeitung« in die Welt ging, die Tagesgeschichte. „…und was die Hauptsache war, diese Illustration hinkte nicht langsam nach, sondern folgte den Ereignissen auf dem Fuße“.  

Ich zeichnete viele der Bilder selbst und versah sie mit eigenen Texten. Dabei hielt ich stets auf Ordnung und Moral. Erst 1939 erschien mit der Motiv-Nummer 10.337 der letzte Kühn‘sche Bilderbogen. Manche von ihnen erreichten sogar eine Millionenauflage und gingen um die Welt. In seinen „Wanderungen“ hat Theodor Fontane mir ein kurzes Kapitel gewidmet. Immerhin hatte er mit dem Kronprinzen, Schinkel, den Gentz-Brüdern und manch anderen Persönlichkeiten aus Neuruppin vorzustellen. Selbst in diesen wenigen Zeilen spürt man genau, wie er sich beim Schreiben erneut in fremde Länder versetzte. 

Mit dem Kühn‘schen Bilderbogen schickte er seine Leser auf die Reise zum König von Dahomey. Und weiter: „Den Marañón und den Orinoco aufwärts, wo die Kolibris wie Blüten und die Blüten wie Schmetterlinge sich schaukeln, dort, wo alles Glanz und Farbe ist, tritt er kühn und siegreich auf und stellt die Kolorierkunst seiner Schablone – die, unbeeinflusst von den neuen Gesetzen der Farbenzusammenstellung, ihre ehrwürdigen Traditionen wahrt – siegreich in den Zauber der Tropennatur hinein. Auf den Inseln der schottischen Westküste war es mir selbst vergönnt, diese Landsleute, diese Boten aus der engeren Heimat, zu begrüßen.“ 

Nun möchte ich allerdings nicht den Eindruck erwecken, Fontane habe seine umfassende, vor allem geschichtliche Bildung nur mir zu verdanken. Keinesfalls! Er partizipierte bereits in jungen Jahren vom umfassenden Wissen seines Vaters. Man stelle sich vor: Zu seinem zwölften Geburtstag bekam er als Geschenk Schellers Lateinisch-Deutsches Lexikon in vier Bänden, Stielers Atlas aus Gotha und Beckers Weltgeschichte. Sein Leben lang hat Fontane aus Gewohnheit Zeitungen gelesen – auf Deutsch, Englisch und Französisch. Fontane wusste, was in der Welt geschah.

Friedrich Christian Thormeyer (1765 – 1837)

Ein Schuldirektor, wie er im Buche steht

Ich kannte Theodor Fontane in einer Zeit, in der er noch lange nicht der berühmte Schriftsteller späterer Jahre war. Es war kurz vor Ostern 1832, als er mit seiner Mutter aus Swinemünde nach Neuruppin kam. Die Ehe der Eltern befand sich in Auflösung, und sie glaubte, in der Stadt, in der sie einst ihre glücklichsten Jahre verlebt hatte, dem Sohn einen zukunftsträchtigen Schulabschluss bieten zu können. Die beiden stiegen in einer Pension ab, die der einstigen Apotheke des alten Fontane direkt gegenüberlag. Für die Mutter war dieses Wiedersehen mit dem Löwen über der Eingangstür sehr schmerzhaft. Am folgenden Tag machten sie sich auf den Weg zur Schule. Als Direktor stand mir hier eine Wohnung zu, in der der kleine Fontane eine Bleibe finden konnte. An Platz mangelte es hier nicht. 

Das Gymnasium war eins der ersten Häuser, die nach dem großen Stadtbrand von 1787 errichtet wurden. Benannt wurde es nach König Friedrich Wilhelm II., an den direkt gegenüber der Schule eine von Schinkel entworfene Statue erinnert. Auf dem mittleren der drei weiträumigen Stadtplätze errichtet, gleicht es in Baustil und Ausmaßen einer Schlossanlage. Gemäß den Ideen der Aufklärung stand nun dort, wo Fremde eine Residenz erwarten, eine Schule. Ich selbst hatte fast das Pensionsalter erreicht und war unter Gelehrten kein Unbekannter. Hatte ich doch das Werk „Von der Vorsehung, oder warum es dem Tugendhaften übel gehe, da es doch eine Vorsehung geben soll“ aus dem Lateinischen übersetzt.

Ein paar Zeilen hatte Fontane später in seinen Kindheitserinnerungen sogar für mich übrig: „Wir gingen im Laufe des Vormittags nach dem großen Gymnasialgebäude, das die Inschrift trägt: ‚Civibus aevi futuri‘ (Den Bürgern des künftigen Zeitalters). Ein solcher civis, ein freier Bürger also, sollte ich nun auch werden, und vor dem Gymnasium angekommen, stiegen wir die etwas ausgelaufene Treppe hinauf, die zum ‚alten Thormeyer‘ führte. Er war vordem Direktor in Stendal gewesen und hatte das Direktorat dort aufgeben müssen, weil er sich an einem Lehrer »vergriffen« hatte. Glücklicherweise wußt‘ ich damals noch nichts davon, ich hätte mich sonst halbtot geängstigt. Oben angekommen, trat uns ein mindestens sechs Fuß hoher alter Herr entgegen, gedunsen und rot bis in die Stirn hinauf, die Augen blau unterlaufen, das Bild eines Apoplektikus – er hätte auf der Stelle vom Schlag gerührt werden können.“ 

Schmeichelhaft war das für mich nicht. Es aber zu verheimlichen, ist schließlich sinnlos. Man darf auch nicht vergessen, dass der Knabe Theodor Lehrer als Autoritätspersonen nicht kennengelernt hatte. Seine schulische Bildung hatten ihm die Eltern vermittelt. Wie sich zeigte, hatten sie dabei ein glückliches Händchen. Ich ließ den Besucher ein paar Zeilen aus dem Lateinischen übersetzen. „Ich tat wie geheißen, und es ging auch wie Wasser“, schieb er später. Er war reif für die Quarta.

Aber was hat ihm die Schule gebracht? Lesen Sie selbst: „Was ich dahin mitbrachte, war etwa das Folgende: Lesen, Schreiben, Rechnen; biblische Geschichte, römische und deutsche Kaiser; Entdeckung von Amerika, Cortez, Pizarro; Napoleon und seine Marschälle; die Schlacht bei Navarino, Bombardement von Algier, … und beinah sämtliche Schillersche Balladen. Das war, einschließlich einiger lateinischer Brocken, so ziemlich alles, und im Grunde bin ich nicht recht darüber hinausgekommen. Einige Lücken wurden wohl zugestopft, aber alles blieb zufällig und ungeordnet, und das berühmte Wort vom ‚Stückwerk‘ traf auf Lebenszeit buchstäblich und in besonderer Hochgradigkeit bei mir zu.“

Willibald Alexis (1798 – 1871)

Einer, von dem man lernen konnte

Sie verschlingen gern Krimis? Sie sind interessiert an der Geschichte der Mark Brandenburg? Dann gehören Sie bestimmt zu den Lesern meiner Bücher. Davon gibt es jede Menge, sodass ich sogar gut vom Schreiben leben konnte. Eine Selbstverständlichkeit war das nicht. Aber zunächst sollte ich mich vorstellen. Mein Name ist Georg Häring. Ich entstamme einer hugenottischen Familie aus der Bretagne namens Harenc. Für deutsche Ohren ist das Wort Häring allerdings viel geläufiger, weshalb meine Vorfahren dem Fisch den Vorzug gaben. 

Hier wären wir bereits bei Theodor Fontane, der ja bekanntlich auch hugenottische Vorfahren hatte. Er hat allerdings seinen Zunamen stets auf französische Weise ausgesprochen: „Fong-tan“. Ich aber ging noch einen Schritt weiter und nannte mich in späteren Jahren Willibald Alexis. Unter diesem Namen kannte mich auch Fontane, meinen „Neuen Pitaval“, jene Sammlung von wahren Kriminalfällen, und auch meine historischen, patriotischen Romane wie der „Falsche Woldemar“ oder „Die Hosen des Ritters von Bredow“. In meinem frühen Roman „Cabanis“ aus dem Jahr 1832 stelle ich die fritzisch-preußische Gesinnung der Toleranz, des Aufschwungs und der Bildung dem reaktionären Geist von 1830 gegenüber. Das Kasernenhof-Preußen mochte ich nicht.

Ja, wie soll ich’s sagen, ohne überheblich zu erscheinen: Ich war Fontanes Vorbild. Meine detailgetreuen Geschichtsschilderungen haben auf ihn allergrößten Eindruck gemacht. Und das schon in frühester Jugend. Als sein Vater die „Adler“-Apotheke in Swinemünde betrieb, sah er mich bei einem Besuch in Heringsdorf, wo ich damals die Sommermonate verbrachte. In seinen „Kindheitserinnerungen“ schrieb er viel später über diese Begegnung, ich sei der „erste Dichter, den ich sah“, gewesen. Als ich längst schon nicht mehr unter den Lebenden weilte, zeigten sich die vielen Gemeinsamkeiten, die uns verbanden: Wie ich wurde auch er zum Bewunderer alles Englischen, schrieb Balladen, wurde Reiseschriftsteller und vertiefte sich in die Geschichte der Mark Brandenburg und Preußens. 

Genau wie ich. 1872, ein Jahr nach meinem Todestag, würdigte mich Fontane in einem ausführlichen literarischen Nachruf. Er bezeichnete mich darin als »ganz große Nummer« und als sein geistesverwandtes Vorbild. Mit seinem leichten, eleganten und oft ironischen Erzählton hat er mich aber klar überflügelt. Die von ihm geschilderten Landschaften waren nie abstrakt und bedeutungsleer, sondern von Menschenhand kultivierte, mit Geschichtlichem und Geschichten getränkte Kulisse von geschichtlichen Ereignissen. Er gab der Historie eine Stimme. Auch in der Schilderung der Berliner Gesellschaft fand Fontane bei mir Nachahmenswertes. Denken Sie an „Frau Jenny Treibel“. Aber ganz zu Recht ist er der bedeutendere Literat.

Richtig deftig ging es in den „Hosen des Ritters von Bredow“ zu. Hier eine kurze Leseprobe: „Eine Herbstwäsche war im Schloss Hohen-Ziatz eine Verrichtung. Eine große Arbeit war es, wo die Knochen sich rühren mussten, aber ein Fest auch. Die Hausfrau meinte, alle tüchtige Arbeit sei immer ein Fest, und wir meinen’s auch. Wie hatte sie das alte Haus aus- und umgekehrt; auf Hühnerleitern war sie selbst gestiegen, denn darin traute sie keinem andern Aug, in alle Kammern und Winkel, dass jedes Wollen- und Linnenstück, bis zum geringsten hinab, ein Sonntagsgesicht anlegen sollte.“ Einen lustigen Film haben sie später sogar aus der Geschichte gemacht.

Sophie Marie Gräfin von Voß (1729 – 1814)

Alles selbst erlebt, worüber andere schrieben

Was habe ich da bloß angestellt? Konnte ich ahnen, dass sich der Prinz von Preußen, also der künftige König Friedrich Wilhelm II., in die kleine Julie, ich meine die 1766 geborene Julie Amalie Elisabeth von Voß, derart verguckt, dass er nicht von ihr lassen konnte. Und das, obwohl er 22 Jahre älter war, dazu mit Christine Ulrike von Braunschweig-Wolfenbüttel verheiratet und seit Jahren mit Wilhelmine Encke eine sogar von Friedrich dem Großen offiziell anerkennte Mätresse besaß – von vielen anderen Liebschaften einmal abgesehen. Da war der Spitzname „dicker Lüderjahn“, den ihm die Berliner gegeben hatten, noch geschmeichelt. Und ich Unglückliche hatte die beiden bekannt gemacht! Schließlich war mein Gemahl, Johann Ernst von Voß, in den 1780er Jahren Oberhofmeister der Königin Elisabeth Christine, die Friedrich der Große schnöde nach Schönhausen abgeschoben hatte. Nach seinem Tod durfte ich die Stelle des Oberhofmeisters bekleiden. Eine Oberhofmeisterin gab es damals noch nicht. 

Die kleine Julie war die Tochter meines Schwagers, sie nannte mich Tante Sophie. Seit 1783 war sie als Hofdame der unglücklichen Königin in Schönhausen (für Sie ist es heute Niederschönhausen) zu Diensten. Genau dort stellte ich die kleine Julie dem Kronprinzen vor. Und das Unglück nahm seinen Lauf. Am 18. März 1786 notierte ich in meinem Tagebuch: „Der Prinz kam zum Diner nach Schönhausen, blieb den ganzen Nachmittag und Abend und schien nichts zu sehen, als Julie.“ Obwohl mir der Lüderjahn mehrfach versprochen hatte, die Hände von Julie zu lassen, stellte er ihr nach, wo es nur ging. Inzwischen König geworden, machte er sie auch noch zur Nebenfrau und heiratete sie „zur linken Hand“, ein Privileg gekrönter Häupter, um sich ganz offiziell einen Harem zuzulegen. Nun war sie mit 

21 Jahren Gräfin von Ingenheim. Nicht einmal zwei Jahre später gebar sie einen Sohn und starb nach nur zwei Monaten an der galoppierenden Schwindsucht.

Jetzt wollen Sie wissen, was das alles mit dem Herrn Fontane zu tun hat. Im Band „Spreeland“ seiner Wanderungen durch die Mark Brandenburg gibt es das Kapitel „Julie von Voß“. Und woraus besteht dieses Kapitel? Zum größten Teil aus Zitaten aus meinen Tagebuchaufzeichnungen, in denen ich 69 Jahre am preußischen Hof unter vier Königen Revue passieren lasse. Sie wurden 1876 erstmals veröffentlicht, als Fontane bereits 57 Jahre alt war. Ja, das hatte ich bereits im Januar 1784 geschrieben und Fontane hat es zitiert: „Julie v. Voß war eine Schönheit im Genre Tizians, schlank und voll zugleich, von schönen Formen und feinen Zügen, blendend, aber von einer marmorähnlichen Blässe, die noch durch ein überaus reiches rötliches Haar gehoben wurde.“ Ich habe, wie man nachlesen kann, nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich diese Liaison äußerst kritisch sah. „Ich fürchte, sie ist nicht unempfindlich für seine Bewunderung, und sie wird sich durch ein solches Gefühl nur selbst unglücklich machen.“ Ich wusste, wovon ich schrieb, denn es war just der Vater dieses Lüderjahns, der an Kummer über sein Schicksal 1758 in Oranienburg verstorbene August Wilhelm von Preußen, in den ich ebenfalls unglücklich verliebt war.

Adelbert von Chamisso (1781 – 1838)

Aus der Abgeschiedenheit des Oderbruchs auf Weltreise

Als Theodor Fontane geboren wurde, hatte ich das Abenteuer meines Lebens bereits hinter mir: eine Weltumsegelung. Was Fontane in seiner märkischen Umgebung suchte und fand, erlebte ich rund um den Erdball. Mit Fontane fühle ich mich verbunden, weil auch er auf einen französischen Stammbaum verweisen konnte. Allerding musste er weit in seiner Ahnenreihe zurückgehen, um auf seine Vorfahren in der Gascogne verweisen zu können. Ich wurde als viertes von sieben Kindern des Grafen Louis Marie de Chamisso auf Schloss Boncourt in der Champagne geboren. Die Französische Revolution zwang meine Eltern ins Exil. Nach langer Odyssee kamen wir 1796 in Berlin an. Da war ich 15 Jahre alt und durfte als Page bei der Königin Friederike Luise dienen. Nebenbei erlernte ich die deutsche Sprache, die ich bald so gut beherrschte, dass ich in ihr meine literarischen Werke veröffentlichen konnte. Zunächst aber galt mein Interesse den Naturwissenschaften. Wie Alexander von Humboldt wollte ich werden.

Als Botaniker stellte mich Theodor Fontane im Band „Das Oderland“ seiner „Wanderungen“ vor. Als Gast des Herren von Itzenplitz legte ich in Cunersdorf, am Rand des Oderbruchs, eine Pflanzensammlung an, um einerseits die Flora des Oderbruchs zu dokumentieren, andererseits dem Treibhaus des Schlosses eine wissenschaftliche Grundlage zu bieten. Fontane: „Chamisso verweilte einen Sommer lang in dieser ländlichen Zurückgezogenheit und unterzog sich seiner Aufgabe mit gewissenhaftem Fleiß. …. Die Mußestunden gehörten aber der Dichtkunst.“ Am Ende dieser Wochen in Cunersdorf hatte ich das romantische Kunstmärchen „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ aufgeschrieben. Der Held der Erzählung verkauft seinen Schatten an den Teufel und verbringt daraufhin sein Leben auf Reisen um die Welt als Naturforscher. Fontane meinte, dies sei meine „bedeutendste und originellste“ Arbeit gewesen.

 Ich selbst bin da anderer Meinung. Meine „Reise und Welt“ liegt mir selbst näher. Gleich dem „Schlemihl, nahm ich in den Jahren 1815 bis 1818 als Botaniker an einer Expedition in den Pazifik und die Arktis teil. Wir segelten nach Südamerika, und zu den polynesischen Inseln entlang der amerikanischen Pazifikküste bis nach Alaska. 

Unter der Führung des russischen Kapitäns Otto von Kotzebue erstellte ich Karten, nahm die Flora fremder Länder auf und schilderte die Lebensgewohnheiten der Eingeborenen. Dabei stellte ich fest: „Die Insulaner der Südsee, weit voneinander geschieden und zerstreut… reden eine Sprache; in Amerika, wie hier in Neu-Kalifornien, sprechen oft beieinander lebende Völkerschaften eines Menschenstammes ganz verschiedene Zungen.“ Die Sprachen, speziell die auf den Hawaii-Inseln, haben mich unterwegs besonders interessiert. Nach meiner Rückkehr wurde ich zum Ehrendoktor der Berliner Universität ernannt und auf Vorschlag Alexander von Humboldts 1835 zum ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften gewählt. 

Es erfüllt mich mit Befriedigung, dass ich noch lange nicht vergessen bin. Mehr als 150 Pflanzen- und einige Tierarten wurden nach mir benannt. Sogar ein Asteroid trägt meinen Namen durch das Weltall. Besonders freut es mich, dass ein nach mir benannter Literaturpreis an Autoren nichtdeutscher Muttersprache benannt ist. In Kunersdorf am Oderbruch, wo die legendäre „Frau von Friedland“ wirkte und ich meinen Schlemihl schrieb, gibt es jetzt einen Musenhof. Dort hat eine rührige Chamisso-Gesellschaft ein kleines Museum für mich eingerichtet.

Sir Walter Scott (1771 -1832)

Der Erfinder des historischen Romans

Ich könnte wetten, dass Sie noch nie ein Buch von mir gelesen haben. Da sehen Sie, wie schnell literarischer Ruhm verblasst. Denn als ich noch lebte, war ich höchstwahrscheinlich der meistgelesene Schriftsteller der Welt. Jawohl: weit über meine schottische Heimat hinaus und in viele Sprachen übersetzt. Da wären wir bei Theodor Fontane, der auch ein begeisterter Leser meiner Werke war. Zunächst verschlang er meine Gedichte und Balladen, und als ich zum Verfassen von Romanen übergegangen war, auch die. Wussten Sie, dass das von Franz Schuber vertonte „Ave Maria“ auf ein Gedicht von mir zurückgeht? Aber mit der vollendeten Lyrik eines Lord Byron konnte und wollte ich es doch nicht aufnehmen.

Was die Romane betrifft, sollte Ihnen zumindest „Ivenhoe“ geläufig sein. Die legendäre Figur aus dem England des 12. Jahrhunderts mit den Kämpfen zwischen Angelsachsen und Normannen bescherte mir einen grandiosen Erfolg. Nach nur zwei Wochen war die erste Auflage von 10.000 Exemplaren verkauft. Er war das Vorbild für drei Opern, mehrere Filme. Ich habe mir immer neue Handlungsstränge und Figuren einfallen lassen, um das Interesse an dem Stoff wachzuhalten. Das gelang sogar, ohne dass ich meinen Namen preisgab.

Theodor Fontane liebte meine Werke, so wie er alles Englische liebte. Die Verehrung mir gegenüber wurde nur übertroffen durch seine Shakespeare-Verehrung. Für ihn war ich der „Shakespeare der Erzählung“. So wie ich wollte er zu Werke gehen. Nach der Lektüre eines meiner Bücher meinte er: „Als ich das Buch zuklappte, atmete ich auf und sagte mir aus tiefster Seelenüberzeugung: ‚So gut machst du’s auch.‘“ Er hatte verstanden, dass ich mit dem historischen Roman ein neues literarisches Genre kreiert hatte. Für den Romancier Fontane war ich mit meinen Erzählungen geschichtlicher Ereignisse stets der gültige Maßstab. Selbst da, wo er sich von mir abgrenzte. Seinen ersten Roman „Vor dem Sturm“ kündigte er seinem Verleger als eine Arbeit an, die er nur nach eigener Individualität machen wolle. Selbst „die Anlehnung an Scott betrifft nur ganz Allgemeines“. Genau wie ich gab sich Fontane nicht mit Königen und Heerführern ab, sondern fand seine Figuren im realen Leben, wo sie die Leser als ihresgleichen wiederfinden können. So schreibt man erfolgreich. Seine tiefe Verehrung für mich hat er im Jahr 1872 in einem Aufsatz über mich zu Papier gebracht.

Ich behaupte, dass die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ein gewaltiges Quellenstudium darstellten, das Werke für drei Dichtergenerationen möglich gemacht hätte. Aus meiner Sicht hat es Fontane bei der Beschreibung von Begebenheit und Landschaft, von Ereignis und Charakter zu höchster Meisterschaft gebracht. Nun sitzt er da in Neuruppin auf der Bank, und alle, die da vorübergehen, sehen in ihm den Wanderer, der mal eine kleine Pause einlegt. Wenn Sie einmal nach Edinburgh kommen sollten, dann besuchen Sie mich an den East Princes Street Gardens. Dort sitze ich auf einer steinernen Bank mit einem Buch in der Hand, meiner Hündin Maida neben mir und einem über 60 Meter hohen gotischen Turm über mir. Das ist Fontane zum Glück erspart geblieben.

Friedrich Schiller (1759 – 1805)

Freude über den Großen Schillerpreis?

Was hat sich der Prinzregent Wilhelm von Preußen, der spätere Kaiser Wilhelm I., wohl gedacht, als er den „Großen Schillerpreis“ 1859 stiftete? Nun gut, das geschah anlässlich meines 100. Geburtstages. Aber hat der Mann meine Haltung zu gekrönten Häuptern bedacht? Immerhin floh ich 1782 vor meinem damaligen Landesherren, dem Herzog Karl Eugen, aus Württemberg über Thüringen, denn mir drohte Festungshaft. Ausgerechnet der preußische Prinz, der sich lautstark für ein gewaltsames Vorgehen gegen revolutionäre Demonstranten aussprach, als Oberbefehlshaber die Aufstände in Süddeutschland blutig niederschlagen ließ und vom Volk als „Kartätschenprinz“ bezeichnet wurde, brüstete sich nun mit meinem Namen. 

Was das alles mit Theodor Fontane zu tun hat? Im Jahr 1890 gehörte er mit dem niederdeutschen Lyriker Klaus Groth zu den Geehrten. Er erhielt ihn für die „schriftstellerische Gesamtleistung“. Immerhin musste laut Statuten des Preises der Kaiser persönlich sein Einverständnis erklären. Übrigens: Der volle Preis (einschließlich Denkmünze) wurde in der vierundfünfzigjährigen Geschichte des Preises überhaupt nur sechsmal verliehen. Fontane nahm den Preis dankend entgegen, zu Freudensprüngen dürfte er ihn nicht verleitet haben. Der Doktortitel der philosophischen Fakultät der Berliner Universität dürfte ihm wichtiger gewesen sein. 

An Ehrungen hat es Fontane wahrlich nicht gemangelt, auch wenn sie erst im gesetzten Alter kamen: Zu nennen wären da der preußische Kronenorden, der Rote Adlerorden und das Ritterkreuz des Hohenzollernschen Hausordens. Aber das war nicht entscheidend für ihn. Ich darf ihn zitieren: „… als ich eines Tages las, dass es nur noch drei große Männer in Deutschland gäbe: Bismarck, Menzel und Fontane – da wurde mir doch unheimlich“. Übrigens: Fontane gehörte auch zu den Aktiven in der Schiller-Stiftung, die sich seit 1855 dankenswerter-Weise vor allem für verarmte Autoren einsetzte. 

Aber da war noch mehr, was mich und Fontane nahebrachte. Vor allem war es das tiefe Interesse an Geschichte. Das hat er bei Sir Walter Scott gelernt. Seine Romane handelten alle vor einem geschichtlichen Hintergrund. Auch ich habe mich intensiv in die Geschichte hineingedacht. Sogar zum Universitätsprofessor habe ich es gebracht. Meine Antrittsvorlesung in Jena unter dem Titel „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte“ wurde zu einem Ereignis. Als Ergebnis meiner Geschichtsstudien entstanden vor allem Dramen. Deren Schauplätze waren Frankreich, England, Italien, die Schweiz und Deutschland zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. 

Damit noch nicht genug! Fontane und ich hatten Phasen, in denen wir sehr produktiv im Verfassen von Balladen waren. Dabei gebührt der Ehrenkranz eindeutig dem Jüngeren. Auf 250 Gedichte hat er es gebracht, die meisten davon Balladen. In ihnen erzählt er von geschichtlich verbürgten, schicksalhaften Ereignissen, zum Beispiel über ein Zugunglück auf der Brücke am Tay oder über den tapferen Steuermann John Maynard auf dem Eriesee. Auch Goethe und ich hatten unser „Balladenjahr“. Das war 1797, als wir innerhalb weniger Wochen im Wettstreit 12 Balladen verfassten. Wer kennt sie nicht: „Die Bürgschaft“, „Der Taucher“, „Der Erlkönig“? Doch unsere Balladen beschrieben meist Geschehnisse in der Welt der Legenden. Ich freue mich jedenfalls, dass dieser Theodor Fontane mein Denkmal vor dem Berliner Schauspielhaus nach der Enthüllung an meinem 112. Geburtstag erleben durfte.

König Friedrich II. (1712 – 1786)

Wenigstens französische Vorfahren hatte er

Was ich mit Theodor Fontane zu tun habe? Was soll ich dazu sagen? Als literarische Figur war ich ihm fern. Dicke Bücher über den niederen preußischen Adel hat er geschrieben. Aber zu einem zu Herzen gehenden Königsdrama konnte er sich nicht durchringen. Zumindest als Figur der Geschichte kam er nicht um mich herum. In seinen Wanderungen hat er die Stätten meiner Jugendzeit besucht und beschrieben – im Oderland und im Ruppiner Land. Die Katte-Geschichte ist bei ihm nachzulesen und die Kronprinzen-Jahre in Rheinsberg. 

Ich gebe neidlos zu, er hat damit einen großen und bleibenden Beitrag geleistet. Denn seine Recherchen dienen immer noch allen möglichen Schreibern als vorzügliche Quelle. Nach dem Motto: Der Fontane hat’s gesagt, also ist es richtig. Verneigen sollte ich mich vor seinen Schilderungen der Kriege gegen Dänemark und Frankreich, die wichtig für die Reichseinigung 1871 waren. Aber das war nach meiner Zeit.

Oder hat er mich etwa in seinen „Heldenliedern“ von 1850 verewigt? Mit diesen Versen hat er den Haudegen an meiner Seite ein Denkmal gesetzt: dem Alte Dessauer, dem Alten Zieten, Seydlitz, Schwerin, Keith. Ich selbst tauche dort nur als Nebenfigur auf. Mit seinen Gedichten hat er die Kämpen meiner Kriege auf den Sockel gehoben. Sehr menschlich hat er sie präsentiert. Aber wo bleibt da das militärische Kräftemessen? Ein Krieg wird nicht durch Menschlichkeit gewonnen. Ich billige ihm gern zu, dass er die Heldenlieder geschrieben hat, als das preußische Nationalgefühl ein tiefes Tal durchlief. Da waren Helden rar und man musste sie im Vergangenen suchen. Und so hat er dann gedichtet: „Sie kamen nie alleine, der Zieten und der Fritz, der Donner war der eine, der andre war der Blitz.“ Da hat er allerdings Recht, dieser Fontane. Zieten und ich waren bis zum Schluss unzertrennlich. Er war 13 Jahre älter als ich, aber starb nur wenige Monate vor mir. Was hab ich ihm alles zu verdanken! Da musste also einer aus französischem Hause kommen, um dergleichen zu Papier zu bringen. Das ist doch beschämend für die deutsche Schriftstellerei!

Ich habe gehört, dass Fontane auch ein Gedicht zur Enthüllungsfeier meines Reiter-Denkmals Unter den Linden in Berlin verfasst hat? Ja, vielleicht war sogar er ein bisschen zu „fritzisch“ gesinnt, Aber bedenken Sie bitte, 1851 hatten wir wirklich traurige Zeiten. Der damalige König Friedrich Wilhelm IV. war schwach und krank. Da kam man eben auf solche Gedanken: „Blitz’ nur herab von Deiner Wacht, solch Wächter mag uns taugen: Wir brauchen wieder, Tag und Nacht, die Alten-Fritzen-Augen.“ Er hätte ja auch schreiben können, dass sich die Geistesgrößen meiner Zeit unter dem Pferdearsch versammelt finden. Aber nein, allein meine Anwesenheit kündet von goldenen Zeiten. Bravo!!!

Ein Meister der Ignoranz war dieser Fontane auch hinsichtlich des von mir geschaffenen Potsdam. Stellen Sie sich vor, was er stattdessen in unverfrorener Frechheit geschrieben hat: „Das Wesen des Potsdamers, sage ich, besteht in einer unheilvollen Verquickung oder auch Nichtverquickung von Absolutismus, Militarismus und Spießbürgertum.“ Jetzt erkennen Sie ihn doch wieder, Ihren alten Fontane! Soll das ein guter Dichter sein?

Friedrich Fontane (1865 – 1941)

Der letzte Sohn

Ich wurde als siebtes und letztes Kind von Theodor Fontane und dessen Ehefrau Emilie geboren. Als ich zur Welt kam, waren sie bereits 14 Jahre verheiratet. Ich erhielt den Namen des großen Königs Friedrich, genannt wurde ich aber stets nur „Friedel“. Wenn Sie schon einmal in Neuruppin waren, dann haben Sie mich sicher auf dem Denkmal sitzen gesehen, das – wie es auf einer Bronzetafel heißt – „dem Dichter der Mark“ gewidmet ist. Ja, es soll meinen Vater als ruhenden Wanderer mit Notizheft in der Hand und Blick in die Ferne darstellen. Aber der Bildhauer Max Wiese benutzte mich, seinen Sohn, 1907 als Modell für dieses Denkmal, denn die Ähnlichkeit mit meinem Vater war tatsächlich verblüffend. 

Ausgebildet wurde ich zum Buchhändler. Das fand in der Verlagsbuchhandlung von Langenscheidt statt. Als ich in das Unternehmen kam, beging man das 25-jährige Verlagsjubiläum und hatte gerade die Herausgabe eines umfangreichen Französisch-Wörterbuches abgeschlossen. Das literarische Talent meines Vaters war mir nicht gegeben. Aber nichtsdestotrotz wollte ich im Buchgeschäft reüssieren. Auch wenn mich mein Vater dafür nicht für geeignet hielt, gründete ich im Dreikaiserjahr 1888 einen eigenen Verlag. Nach und nach kaufte ich die Rechte an einzelnen Werken meines Vaters auf (sie lagen zum Teil bei irgendwelchen Zeitungsverlagen) und sorgte für eine angemessene Herausgabe.

Schon nach wenigen Jahren konnte der Verlag ein bedeutendes Programm vorweisen und gehörte zu den angesehensten Verlagshäusern von Berlin. Vor allem mit zeitgenössischer Belletristik machten wir uns einen Namen. Nach dem Tod des Vaters gaben wir zwischen 1904 und 1910 seine Werke in 21 Bänden heraus. Auch wenn ich dafür viel Kritik einstecken musste, setzte ich die verlegerische Arbeit mit den Werken meines Vaters fort. Allerdings verwaltete seit Kriegsende der S.Fischer-Verlag die Rechte an den Werken. In den folgenden Jahren unterstützte mich mein Bruder Theodor (junior). Als allerdings 1928 die Schutzfrist für die Werke des Vaters 

auslief, versiegten die Tantiemen und der Verlag geriet in schwere Wasser. Schließlich ging er in der Weltwirtschaftskrise wie so viel andere Unternehmen in Konkurs.

Ein anderes Thema ist die Verwaltung des umfangreichen Nachlasses des Vaters. Unsere Mutter hatte den Schreibtisch, an dem er seine Romane schrieb, dem Märkischen Museum geschenkt. Die Besitz- und Urheberrechte am Fontane-Nachlass vermachte sie den drei Kindern. Leider trug das dazu bei, dass er in alle Winde zerstreut wurde und in der Folge wieder mühsam zusammengetragen werden musste. Mein Bruder Theodor (junior) und ich setzten alles daran, die in den ersten Jahren nach seinem Tod teilweise verstreuten Manuskripte wieder zusammenzuführen und ein Archiv aufzubauen. Allerdings gelang es uns nicht, die dafür erforderlichen Mittel aufzutreiben. Auch ein Angebot an die Preußische Staatsbibliothek blieb erfolglos. 

Nach dem Tod meines Bruders im Jahr 1933 blieb mir nichts anderes übrig, als den Nachlass versteigern zu lassen. Erneut wurden die Schriften des alten Fontane in alle Welt verstreut. 1936 konnte das, was vom Nachlass noch übrig war, in das Brandenburgische Schrifttumsarchiv übernommen werden. Damit war der Grundstein für das heute in Potsdam bestehende Theodor-Fontane-Archiv gelegt. Allerdings musste es am Ende des Zweiten Weltkriegs erneut schmerzhafte Einbußen hinnehmen.