Kategorie: <span>Theodor Fontane bittet zur Geisterstunde</span>

Karl Zöllner (1821 – 1897)

Seine Briefe hielten mich bei Laune

Es würde mich nicht wundern, wenn Sie meinen Namen hier zum ersten Mal lesen. Als preußischer Justizbeamter bot mein Leben nichts, was der umfassenden Erwähnung wert gewesen wäre. Wenn da nicht die lebenslange Freundschaft mit Theodor Fontane wäre. Auch meine Frau gehörte zu seinem Freundeskreis. Unsere Bekanntschaft ergab sich bereits im künstlerisch-literarischen Kreis namens „Rütli“, dem auch Staatsdiener wie ich samt Ehefrauen angehören konnten, wenn sie nur musisch genug eingestellt waren. Ich interessierte mich vor allem für Malerei und war in meinen letzten Lebensjahren sogar Ehrenmitglied der Sektion der Bildenden Künste. 

Im Januar 1876 konnte ich Fontane einen großen Dienst erweisen: Ich verschaffte ihm die Stelle des Ersten Sekretärs der Akademie der Künste und bot ihm damit die Möglichkeit, endlich ein festes Einkommen zu erlangen. Die Urkunde seiner Bestellung hatte der Kaiser persönlich unterschrieben. Besonders für seine Frau Emilie war das eine gute Nachricht. Leider hat Fontane dort nach nur einem halben Jahr wieder aufgehört. Ihm war die Freiheit des Schriftstellers lieber als das regelmäßige Gehalt. 

Am liebsten erinnere ich mich jedoch an die vielen Briefe, die mir Fontane aus der Ferne geschrieben hat. 1874 und 1875 reiste er nach Italien. Bei der ersten Fahrt, die immerhin 50 Tage dauerte, begleitete ihn Emilie. Sie besuchten Rom, Venedig, Verona, Florenz und Neapel. Vielleicht hielt er dieses große Programm für eine Anstellung bei der Akademie der Künste für erforderlich. Seine Briefe aus dem Süden waren allerdings nicht dazu angetan, meine Reiselust dorthin zu wecken. Die italienische Kunst hielt er für langweilig. So durfte ich lesen: „Und als ich schließlich in einer kleinen Dogen-Kapelle einem Albrecht Dürerschen Christuskopf begegnete, atmete ich auf; dieser eine Kopf repräsentierte in meinen Augen mehr wahre Kunst, als alle Tintorettos zusammengenommen.“ Venedig sei zwar hübsch, schrieb er, „aber es repräsentiert doch nicht die Form der Schönheit, die ich dauernd vor Augen haben möchte!“. Und in Rom gefielen ihm die antiken Ruinen besser als die prunkvollen Kirchen.

Keinesfalls möchte ich Ihnen vorenthalten, was mir Theodor Fontane 1889 über seinen Besuch der Wagner-Festspiele aus Bayreuth schrieb. Die Neugier des Theaterkritikers trieb ihn von Bad Kissingen aus, wo er zur Kur weilte, zu diesem Spektakel. Die Opernmusik war seine Sache nicht. Auch die Texte von Richard Wagner, die er schon zuvor gelesen hatte, bereiteten ihm „nichts als Kopfweh, Verwirrung und Unbefriedigtsein“. Über Bayreuth schrieb er: …“ malerisches Drecksnest und dazwischen das denkbar feinste Publikum… Ich sehe aber ein, daß die ganze Geschichte doch nur für Lords und Bankiers ist, so daß man eigentlich nicht hinzugehört…“ 

Die Opernaufführung selbst entwickelte sich zur Katastrophe. Beim „Parzifal“ ist er nicht über die Ouvertüre hinausgekommen. Als die zu Ende ging, fühlte er deutlich: “Noch drei Minuten, und du fällst ohnmächtig oder tot vom Sitz.“ Also verließ er fluchtartig seinen Platz im Zuschauerraum. Dabei musste er sich an angefühlt vierzig Leuten vorbeidrängeln. „… als ich draußen war, erfüllte mich Preis und Dank. Nur das Dankgefühl des Türhüters konnte mit dem meinigen rivalisieren. Denn er kriegte nun mein Billet, das er sofort für fünfzehn Mark oder auch noch teurer (denn es wurden ganz unsinnige Preise gezahlt) an draußen Wartende verkaufen konnte. Mein ‚Tristan‘-Billet schickte ich am anderen Morgen zurück und vermachte den Betrag einer frommen Stiftung.“ Verstehen Sie jetzt, dass ich mich über jeden Brief von Theodor Fontane besonders gefreut habe?

Georg Friedrich Gustav Bernhard von Lepel (1818 – 1885)

Ein lebenslang treuer Begleiter

Der Briefwechsel zwischen Theodor Fontane und mir währte fast 40 Jahre und war außerordentlich intensiv. Das wäre wohl nicht der Fall gewesen, wenn wir nur Artigkeiten ausgetauscht hätten. Er hat mir sehr offen sein Herz ausgeschüttet und dabei zeigte sich, dass wahrlich nicht immer Gleichklang zwischen uns herrschte. Wie sollte auch? Ich befand mich klar im Lager der Bewahrer und er schwankte zwischen dem alten Preußen und modernen republikanischen Ansichten. Fontane tolerierte stets meinen unbedingten – nicht stets abwägenden – Konservatismus. Man konnte spüren, dass er viel Zeit in England verbracht hat. Allerdings änderte er mit den Jahren immer mehr seine Meinung zu seinem gelobten Land. 

Im letzten großen Roman „Stechlin“ hat er deutlich gemacht, dass die Zeit dort nicht nur gute Erinnerungen hinterlassen hat. Die „Tante Adelheid“ lässt er darin sagen: „England. Es hat für mich eine Zeit gegeben, wo ich bedingungslos dafür schwärmte. … Diese halbe Vergötterung hab‘ ich noch ehrlich mit durchgemacht. Aber das ist nun eine hübsche Weile her. Sie sind drüben schrecklich runtergekommen, weil der Kult vor dem Goldenen Kalbe beständig wächst; lauter Jobber und die vornehme Welt obenan.“  Im denkwürdigen Jahr 1848 gehörte er gar zu den Barrikadenkämpfern, während ich als Unteroffizier den König verteidigte. 

Ja, ich war es, der 1843 den jungen Apothekergehilfen Fontane in die literarische Gesellschaft „Tunnel über der Spree“ einführte. Und nein, das war zu dieser Zeit kein Club der renommierten Dichter. Wir alle dilettierten in Sachen der Poesie. Ich ganz besonders. Ganz anders Fontane, sich – wenig phantasievoll – im „Tunnel“ den Poetennamen „Lafontaine“ nach dem berühmten französischen Fabeldichter zugelegt hatte. Während seiner Dienstzeit bei der Armee war ich 1845 kurzzeitig sogar sein Vorgesetzter. Das Leben wollte es, dass wir nicht voneinander lassen konnten. Selbst in England waren wir gemeinsam. Ein besonderer Höhepunkt war unsere gemeinsame Reise nach Schottland im August 1858. Er machte daraus den zwei Jahre später erschienenen Reisebericht „Jenseit des Tweed“ (ja, „jenseit“ ohne s, weil es sich so besser ausspricht). Er hat den Bericht mir gewidmet. Im Vorwort schrieb er: „Eine Reise an der Seite eines Freundes ist eine Freundschaftsprobe, wie die Ehe eine Liebesprobe ist. Wir haben sie bestanden.“ Während „Jenseit des Tweed“ zu Fontanes Lebzeiten es nicht über die erste Auflage hinausbrachte, kommt inzwischen kein deutschsprachiger Schottland-Reiseführer ohne den Hinweis auf Fontanes Reise und ohne Zitate aus seinem Bericht aus.

Bedeutsam ist unsere zweiwöchige Tour durch den Norden der britischen Insel aus einem weiteren Grund: Hier kam ihm die Idee zu den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Der Anblick der alten schottischen Burg Loch Leven Castle auf einer Insel im Loch Leven erinnerte ihn wehmütig an Schloss Rheinsberg am Grienericksee. Er fand, die märkische Heimat sei nicht minder schön als die schottische Landschaft: „Je nun, so viel hat Mark Brandenburg auch. Geh’ hin und zeig’ es.“ Der aus Liebe zur Heimat geborene Entschluss, die Kostbarkeiten der Landschaft und Kultur künftig zu Hause zu suchen, ließ ihn zwischen 1859 und 1889 dreißig Jahre lang die Mark Brandenburg durchwandern. Und bei vielen seiner Touren durfte ich ihn begleiten. 

Später meinte er: „Ich bin die Mark durchzogen und habe sie reicher gefunden, als ich zu hoffen gewagt hatte.“ Er trug so viel Material zusammen, dass er gelegentlich sogar plante, die „Wanderungen“ in 20 Bänden herauszubringen. Dass ich dabei nicht untätig gewesen bin, hat er auch zugegeben: „Er  (also ich) sammelte Geschichten für mich, erst um mir und dann gleich hinterher auch um sich selber eine Freude zu machen, eine Freude über meine Freude.“

Helmuth von Moltke (1800 – 1891), ab 1870 Graf

Der Held der Kriegsbücher

Ich bin ein Musterbeispiel. Erstens dafür, dass in Deutschland Generäle der Berufsstand mit der höchsten Lebenserwartung sind. Und zweitens dafür, dass man als Kommandeur trotzdem als „der große Schweiger“ in die Geschichte eingehen kann. Seit 1858 war ich Chef des preußischen Generalstabs und bekleidete diesen Posten in den Deutschen Einigungskriegen 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich. Die Entscheidungsschlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 habe ich selbst befehligt.

Aber meine wahre Berufung waren Strategie und Taktik. Ich gehörte nicht zu denen, die vorgaben, einen Krieg vom Anfang bis zum Ende militärisch vorausplanen zu können. Daher entwarf ich das Konzept der Auftragstaktik. Ich warf die schon unter dem Soldatenkönig eingebläute Befehlskette über den Haufen und gewährte den Unterführern bisher nicht dagewesene Handlungsfreiheit. Jeder hatte gemäß seinem Auftrag verantwortungsvoll zu handeln. In einigen heutigen Armeen ist dieser Führungsstil Teil ihrer Militärdoktrin. Mein Motto war immer: „Erst wägen, dann wagen.“

Aber ich sollte mich hier zu Theodor Fontane äußern. Vorab: Ich bin ihm nie persönlich begegnet. Gleichwohl fühle ich mich ihm dankbar verpflichtet. Fast zehn Jahre seines Lebens hat er damit verbracht, meine Kriege nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Über jeden der Kriege hat er ein umfangreiches Werk veröffentlicht. Zusammen ergeben sie 5.000 Druckseiten. Dabei hat er es nicht beim fleißigen Aktenstudium in der Schreibstube bewenden lassen. Er ist zu den Schauplätzen der Auseinandersetzungen gefahren, hat dort mit Augenzeugen gesprochen und Eindrücke von der Landschaft einfließen lassen. Fontane schrieb seine Kriegsbücher als preußischer Patriot. Kein Zweifel, aber ganz ohne Überheblichkeit oder Chauvinismus. Lesen Sie selbst über seine Eindrücke bei Königgrätz: „Welch prächtiges Panorama! Vor uns jetzt, nach links hin, der glitzernde Streifen der Elbe und unmittelbar dahinter die hohen Thürme von Königgrätz; nach rechts hin das Plateau von Streselitz (das Actionsfeld des großen Reitergefechts) und dahinter Problus samt den andern Kampfesstätten der Elb-Armee. Alles am Horizonte verschwindend. Ein prächtiges Bild, das, in Stille und Sonnenschein daliegend, einen Augenblick vergessen lassen konnte, welches Feld dies war; aber der leise Ostwind, der, vom Dorf Chlum her, jetzt über das frischgepflügte Ackerfeld zu uns herwehte, mahnte uns zu deutlich daran, wo wir waren – der Hauch der Verwesung war in der Luft. Auch jetzt noch, nach sieben Wochen.“

Eigentlich hatte er nie vor, auch noch über den Deutsch-Französischen Krieg zu schreiben. Aber er ließ sich überreden, mitten im Krieg in Feindesland zu fahren. Dort geschah, was geschehen musste – er wurde als Spion verhaftet und eingesperrt. Wie er freikam, kann ihnen von Bismarck besser erzählen. Ich bedauere sehr, dass Fontanes Kriegsbücher nie die Aufmerksamkeit erhielten, wie sie es verdient hätten. Aber er ist ja wohl als Romancier und nicht als Amateurstratege in die Literaturgeschichte eingegangen. Ich gebe zu: Die gewaltige Stofffülle ist kein einfacher Lesestoff für Nicht-Militärs. Ich möchte nicht, dass Sie mich als Kriegshelden im Gedächtnis behalten. 

Ein Jahr vor meinem Tod habe ich im Reichstag vor einem neuen Krieg gewarnt: „Meine Herren, es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg werden – und wehe dem, der zuerst die Lunte in das Pulverfaß schleudert!“ Schlimm, wenn Generäle zu Propheten werden… Übrigens: Obwohl ich als der „Große Schweiger“ in die Militärgeschichte eingegangen bin, gibt es ausgerechnet von mir eine der weltweit ersten Tonaufnahmen. Sie entstand 1889 in Kreisau. 

Otto von Bismarck (1815 – 1898), ab 1871 Fürst

Beinahe hätte er sein Leben verloren

Vorstellen muss ich mich Ihnen ja wohl nicht. Von 1871 bis 1890 war ich der erste Reichskanzler des Deutschen Reiches, und es ist wohl nicht verkehrt, wenn man mich als dessen Gründer bezeichnet. Fontane und ich waren beinahe Zeitgenossen. Er war vier Jahre jünger und starb nur zwei Monate nach mir. Ohne mich hätte sein Sterbedatum ein ganz anderes sein können, denn sehr wahrscheinlich verdankte er mir sein Leben.

Was hat sich zugetragen? Wichtig an dieser Geschichte ist zunächst, dass Theodor Fontane der Redaktion der Neuen Preußischen Kreuz-Zeitung angehörte, die ich 1848 mit aus der Taufe hob und der ich in den folgenden Jahren fast jeden Tag einen Beitrag lieferte. Ihre Leserschaft war wie ich  streng konservativ und zählte zur Elite: Adel, hohe Offiziere, einflussreiche Beamte, Industrielle. Ab 1851 arbeitete Fontane als ihr Korrespondent in London. Nebenbei lancierte er im Auftrag des deutschen Botschafters preußenfreundliche Artikel in die britische Presse. Außerdem berichtete er vom Kriegsschauplatz im Deutsch-Dänischen Krieg. Ich bedauerte sehr, dass er 1870 – in entscheidender Zeit – zur liberalen „Vossischen Zeitung“ wechselte. Seine dortigen Theaterkritiken hab ich trotzdem gern gelesen. Auch die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ waren mir eine willkommene Lektüre.

Aber ich schweife ab: Kaum begann 1870 der Waffengang zwischen Deutschland und Frankreich, zog es den Haudegen Fontane an die Front. Dort geschah, was passieren musste: Er geriet in französische Gefangenschaft und wurde als Spion festgesetzt. Er hatte es zum Beispiel gewagt, hinter den französischen Linien das Heimatdorf der Nationalheldin Jeanne d’Arc zu besuchen. Nun musste er befürchten, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. In Preußen wäre ihm in diesem Fall die Todesstrafe sicher gewesen. Aber Fontane hatte viele Fürsprecher, die sich auf verschiedenen Wegen für ihn einsetzten. Einer davon war ich. Ich befand mich gerade an der Front in Versailles, als wir den Ring um Paris bereits geschlossen hatten. 

Um mit den französischen Behörden in der Stadt in Kontakt zu treten, wandte ich mich an den Gesandten der Vereinigten Staaten von Amerika, der während des Krieges die Interessen der Deutschen in Frankreich vertrat. Ich schilderte ihm, in welcher Lebensgefahr sich der „wohlbekannte Geschichtsschreiber“ befand. Weiter: „Ich bitte Sie daher, die Güte zu haben, formell seine Freilassung von der französischen Regierung zu verlangen.“ Angefügt habe ich die Drohung, dass wir im Weigerungsfall eine „gewisse Anzahl“ von Franzosen verhaften und ihnen „die gleiche Behandlung zuteilwerden lassen“. Das hat gewirkt! Nach ein paar Tagen wurde Fontane freigelassen und durfte nach Genf ausreisen. 

Von meiner Intervention zu seinen Gunsten hat Fontane allerdings nie erfahren. Er meinte bis zuletzt, es sei ein Zufall gewesen, der ihm das Leben rettete. Ich beließ ihn in diesem Glauben, und auch als wir uns am 24. 2. 1891 im „Habsburger Hof“ gegenüberstanden, erwähnte ich nur mein Vergnügen bei der Lektüre seiner „Wanderungen“. Ich wusste, dass er mich als einen der Großen, der ausersehen war, in der Geschichte Bleibendes zu bewirken, angesehen hat, aber mich als manchmal brutalen Machtmenschen nie richtig mochte. Das kann man versstehen. Fontane war eben kein Politiker.

Klara Ziegler (1844 – 1909)

Der stets freundliche, aber scharfe Kritiker

Also, wenn es nach dem Herren Theodor Fontane gegangen wäre, stünde meine Büste nicht in der Münchner Ruhmeshalle und es würde wohl kaum im gutbürgerlichen Münchner Stadtteil Waldperlach eine Straße nach mir benannt sein. Die Münchner wissen eben, was sie an mir hatten. Ich war am damaligen Hoftheater und am Gärtnerplatztheater als „erste Heldin“ engagiert. Ich gab all die großen Frauenrollen: die Medea, die Iphigenie, die Maria Stuart, die Jungfrau von Orleans… Und der Jubel des Publikums war mir sicher. Das nicht nur in meiner Heimatstadt München, sondern auch in Leipzig, Hamburg und an fast allen namhaften deutschen Theatern. Ich war berühmt für meine Sprachtechnik, die mir eine Stimme verlieh, mit der ich die größten Säle ausfüllen konnte. Gerühmt wurden auch meine ausdrucksvolle Gestik und Mimik. 

Nicht so von jenem Herren Theodor Fontane, der eigentlich ein Reiseschriftsteller und Kriegsberichterstatter war und nun für die „Vossische Zeitung“ Theaterkritiken schrieb. Auf 740 Rezensionen mit dem Kürzel Th.F. soll er es gebracht haben. 1988, fünf Jahre nach dem Tod meines geliebten Ehemanns, führte mich das Schicksal an das Berliner Theater, das gerade mit Schillers Demetrius neu eröffnet worden war. Der Theaterdirektor Ludwig Barney holte die besten Schauspieler Deutschlands in sein Haus und feierte mit ihnen große Erfolge. Und was schrieb dieser Fontane über meine Gestaltung der „Medea“ in Grillparzers Stück? „Ihr ganzes Auftreten wirkt wie die Treppenhausbilder im Museum“. Also altbacken und angestaubt. 

Und was schrieb er nach meinem Auftritt als „Brunhilde“ in Geibels gleichnamigem Stück? „Es ist ein chaotisches Durcheinander von Echtem und Unechtem, von Richtigem und Unrichtigem, von Hinreißendem und Abstoßendem, von Rührendem und Verzerrtem, von Einfachem und Maßlosen“.  Trotzdem musste er eingestehen, dass mein Spiel trotz allem eine „Kolossalleistung“ war. Aber das Publikum liebte mich trotzdem. Ihn aber auch. Man las ihn gern, denn er formulierte seine Kritiken stets in einem Plauderton, der anscheinend nicht verletzend war. Fontane war in der Berliner Theaterwelt eine Instanz. 20 Jahre lang ließ er als Kritiker volltönend von sich hören. 

Was soll man von einem Theaterkritiker halten, der das Skandalstück „Vor Sonnenaufgang“ von Gerhart Hauptmann ganz im Gegensatz zum Publikum frenetisch bejubelte. Anlässlich der Uraufführung am 20. Oktober 1889 durch den Theaterverein „Freie Bühne“ schrieb er von „Neuheit und Kühnheit der Probleme“ und „Schlichtheit der Sprache“. Hauptmann sei ein „entphraster Ibsen“. Für Fontane musste es auf der Bühne stets unkonventionell zugehen, vor allem aber realistisch: „Wer wirklich lebt, will reales Leben.“ Aber ist dieser Naturalismus die Zukunft des Theaters? Ich denke, Sie wundern sich nicht, dass es mich zurück nach München zog. Hier verschied ich 1909. 

Adolph von Menzel (1815 – 1905)

Seelenverwandte: Dichter und Maler

Ich fühle mich sehr geehrt, zur Geisterstunde ins Hause Fontane eingeladen zu sein. Wir sind beinahe Zeitgenossen. Aber ich erblickte drei Jahre vor ihm das Licht der Welt und durfte es noch sechs Jahre nach seinem Tod genießen. Sie sehen, ich habe es auf 90 Jahre gebracht. Wenn ich heute zurückschaue muss ich feststellen: Ich war von uns beiden zu Lebzeiten der berühmtere und höher Geehrte. Immerhin begegnete ich mehrfach dem Kaiser. Ich will hier aber nicht über unsere Unterschiede nachdenken, sondern über unsere Gemeinsamkeiten. 

Beide fühlten wir uns zutiefst als Berliner, als Reichshauptstädter. Wir haben beide mittendrin gelebt – er in der Potsdamer Straße, ich in der Marienstraße, beide ungefähr gleichweit vom Reichstag entfernt, wenn auch in entgegengesetzter Richtung. Wir beide „Urberliner“ stammten allerdings aus der Provinz. Ich wurde in Breslau geboren, er in Neuruppin. Aber was tut’s, um die Wende zum 20. Jahrhundert waren die wenigsten Berliner auch dort geboren. 

Viel wichtiger aber ist unsere Seelenverwandtschaft. Unsere beiden Herzen hingen an Preußen. Ich meine das Preußen der stets Tugendhaften, der allzeit Loyalen und Disziplinierten, der in allen Lebenslagen Verlässlichen. Ob es dies Preußen in der Realität jemals gegeben hat? In meinen Zeichnungen und seinen Balladen auf jeden Fall. Beide mochten wir das protzige Preußen des Kaiserreiches mit seinem Waffengeklingel und seinem Kasernenhofton nicht. Das konnten wir bereits feststellen, als wir zwei Jahre nach der Revolte von 1848 gemeinsam dem literarischen Verein „Tunnel über der Spree“ angehörten, dem Fontane bereits 1844 beigetreten war. 

Übrigens war vor mir bereits Franz Kugler Mitglied in dieser Literaten-Gesellschaft. Ja, genau jener Kugler, der bereits 1840, mit 32 Jahren, eine Biografie Friedrichs des Großen vorgelegt hatte, die noch immer ihre Gültigkeit bewahrt hat. Zusammen mit meinen Zeichnungen wird sie immer wieder aufgelegt. 

Zurück zu Fontane. Ich habe an ihm bewundert, dass für ihn Preußen und Demokratie keinen Gegensatz darstellten. Oder wie ist es anders zu verstehen, wenn er einerseits den Demokraten der Märzrevolution nahestand und für sie in radikal-demokratischen Zeitungen schrieb, andererseits aber mit seinen „Acht Preußen-Liedern“ bei den Royalisten Beifall einheimste. In diesen Gedichten setzte er den alten Haudegen der friderizianischen Kriege ein menschliches Denkmal. Nicht anders, als ich es mit meinen Zeichnungen und Gemälden getan habe. 

Wir haben beide das alte Preußen besungen – er mit seinem Federkiel, ich mit dem Kreidestift und dem Malerpinsel. Ich denke, er glaubte nach der gescheiterten Revolution an eine deutsche Einigung unter preußischer Führung. Und dafür wollte er Preußen von seinen besten Seiten vorstellen. Mich hätte interessiert, wie Fontane mit Leben und Werk Friedrichs des Großen umgegangen wäre. Und hätte ich es gewusst, würden dann meine Sanssouci-Tafelbilder „Flötenkonzert“ und „Tafelrunde“ anders aussehen?

Johann Nordmann (1820 – 1887)

Wanderungen durch die österreichischen Berge

Gestatten, Johann Nordmann, auch wenn ich im Kirchenregister der Gemeinde Landersdorf in Niederösterreich als Johannes Rumpelmayer vermerkt bin. Ich möchte betonen, dass es nicht am eigentümlichen Klang des Namens Rumpelmeyer gelegen hat, dass ich mir 1866 ein Pseudonym zulegte. Doch nun zu der Frage, warum ich ins Haus Fontane geladen bin. Ich verstehe mich als Zeitgenossen und Seelenverwandten des großen Dichters. Ich kam nur ein Vierteljahr nach ihm auf die Welt, musste sie allerdings bereits elf Jahre vor ihm wieder verlassen. Aber – Sie werden sich wundern! – auch ich habe Bücher über meine Wanderungen geschrieben. So, wie Fontane von Berlin aus auf „Wanderschaft“ ging, war für mich Wien der zentrale Ort meiner Ausflüge. 

Mich zog es umher in Niederösterreich, ins Burgenland und hinauf ins Hochland, in die Alpen. Mein erstes Wanderbuch nannte ich „Meine Sonntage“ mit dem Untertitel „Ich komme vom Gebirge her!“. Es erschien 1868, als auch Meister Fontane mit seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg befasst war. 1884 brachte ich eine Fortsetzung heraus. Schlicht und einfach „Unterwegs“ habe ich es genannt. Meine Wanderungen fanden auch nur auf den letzten Wegstücken statt, wenn selbst der klappringe Leiterwagen nicht weiterkam. Wo es nur ging, reiste ich mit der Bahn und freute mich über jede neue Nebenstrecke, die selbst in abgelegene Gebiete unseres schönen Österreich führte. 

Aber auch ich konnte von meiner Dichtung kaum leben. Obwohl ich bereits mit zehn Jahren in meiner Heimat als kleiner Poet galt, gelang mir nie der Durchbuch zur bedeutenden Poesie eines – sagen wir – Joseph von Eichendorff. Und so musste ich mich gleichsam Theodor Fontane in das Geschirr muffiger Redaktionsstuben spannen lassen. Zeitungen aller Art und Provenienz gab es ja in Wien zuhauf. Am liebsten waren mir die unpolitischen Literatur- und Theaterblätter. Natürlich bediente ich alle Genres, bemühte mich aber vornehmlich um das Feuilleton und schrieb – wie mein Bruder im Geiste – Theaterkritiken. Dass ich dadurch regelmäßig zu einem Premierenplatz im Burgtheater kam, sei nur am Rande erwähnt. 

Manchmal gelang es mir sogar, ein eigenes Gedicht ins Blatt zu schmuggeln. 

Aber ganz unpolitisch kann kein Leben sein. Ich habe mehrfach Dänemark besucht und dann, als es mit Preußen in Fehde lag, für das kleine Land Partei ergriffen. Theoretisch hätte ich in Dänemark zu jener Zeit dem guten Fontane begegnen können. Stattdessen brachte mir das dänische Intermezzo eine Klage des preußischen Königs ein. 

Die Sache verlief zum Glück im Sande. Eine gute Wende nahm mein Leben, als ich in den Unternehmen von Johann Jacob Weber eine Anstellung fand. Jener Leipziger Verleger gehörte zu den größten seiner Zunft. Er war es, der 1840 die Friedrich-Biografie von Franz Kugler herausbrachte, zu der der damals noch völlig unbekannte Adolph Menzel viele Zeichnungen beisteuerte. 

Amelie Dietrich (1821 – 1891)

Heiß ersehntes Reiseziel Australien

Nein, dem Herrn Fontane bin ich nie begegnet, auch wenn wir beide als Wanderer und Sammler in die Geschichte eingegangen sind. Ich wurde eineinhalb Jahre nach ihm im sächsischen Siebenlehn geboren, weit weg von Neuruppin. Aber nah waren wir uns trotzdem, denke ich jedenfalls. Mein Vater war ein einfacher Beutler, einer, der aus Lederresten vor allem Beutel herstellte.1846 habe ich geheiratet. Und zwar den Apotheker Wilhelm Dietrich. Für diesen Beruf musste er sich gut in der Heilpflanzenkunde auskennen. So wie Theodor Fontane auch. Mein Mann und ich haben uns aber nicht nur für die medizinische Wirkung von Pflanzen interessiert, nein, wir sahen auch die Schönheit der Blüten und wollten wissen, wie die Pflanzen miteinander verwandt waren. Wir verstanden uns als Botaniker im besten und weitesten Sinn des Wortes. Nach der Geburt unserer Tochter Caritas gab mein Mann seine Apothekerstelle auf und wir versuchten, durch den Verkauf von botanischen Artikeln unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das war schwieriger als gedacht, denn kaum jemand hatte Interesse an unseren in Herbarien zusammengetragenen Proben und Präparaten. 

In ganz Deutschland waren wir unterwegs, besuchten wissenschaftliche Einrichtungen, Sammler und Apotheker. Meinem Mann war das aber bald zu mühsam und er suchte sich in der Heimat eine Anstellung als Privatlehrer. So musste ich allein losziehen. Für die Bahn oder gar für Kutschen reichte nie das Geld. So war ich zu Fuß zwischen Holland und Tirol unterwegs. Einen Hund hatte ich mir angeschafft, der meinen kleinen Handwagen mit den Waren zog. Kilometer um Kilometer, Monat für Monat. Sogar Thyphus habe ich mir dabei geholt. Meine Tochter lebte damals bei fremden Leuten, denn ihrem Vater war die Kinderbetreuung Weibersache. Ich aber sah keinen anderen Lebenszweck, als Pflanzen zu sammeln, zu systematisieren und zu verkaufen. Es liegt bei Ihnen, liebe Leser, meine Wanderschaft mit der des Theodor Fontane durch die Mark Brandenburg zu vergleichen. Als ich mich 1862 in Hamburg aufhielt, wurde ich mit dem Hobby-Botaniker Heinrich Adolph Meyer bekannt gemacht. Er kaufte mir meine gesamte Sammlung auf einen Schlag ab. 

Und er stellte mich dem Reeder Cesar Godeffroy vor. Seine Schiffe segelten vornehmlich in die Südsee und er war dafür bekannt, dass er Wissenschaftlern die Möglichkeit gab, sich mit auf Reisen zu begeben. Nach langem Hin und Her durfte ich mit. Der Reeder erteilte mir einen zehnjährigen Forschungsauftrag in Australien zur Erforschung der Tier- und Pflanzenwelt. Fast mit jedem Schiff, das von Brisbane aus nach Deutschland ablegte, schickte ich Kisten mit dem Gesammelten nach Hause. Es ist hier nicht der Platz, über alle meine australischen Abenteuer zu berichten. Ich bedauere sehr, dass ich durch die Übersendung von Gebeinen der australischen Ureinwohner viel später ins Gerede gekommen bin. Mit deren Tod hatte ich jedenfalls nichts zu tun. 

Sehen Sie, die Sammlungen von Theodor Fontane bestanden in Geschichten aus der Mark Brandenburg, meine aus Kisten aus Australien. So unterschiedlich können Sammlungen sein! Nachdem ich nach zehn Jahren zurückgekommen war, durfte ich mich selbst bei einem auskömmlichen Gehalt um die Sammlungen kümmern. Ich starb mit fast 70 Jahren in den Armen meiner – jahrelang von mir vernachlässigten – Tochter. Theodor Fontane erhielt in jenem Jahr den Schillerpreis und hatte noch sieben Jahre zu leben. Aus meiner Tochter ist übrigens unter dem Namen Caritas Bischoff eine Schriftstellerin geworden. Ihr bekanntestes Buch war die Lebensgeschichte über mich. Aber, im Vertrauen, darin war viel Ausgedachtes. 

Tuiskon Beutner (1816 – 1882)

Tricksen gehört zum journalistischen Handwerk

Sie staunen über meinen eigentümlichen Vornamen? Wenn Sie meinen, so könnte ein Indianer heißen, dann liegen Sie völlig daneben. Es ist ein anderer Name für Teut, der höchsten Gottheit der Urdeutschen. Sie trat auch unter den Bezeichnungen Wodan, Odin oder Tuhs in Erscheinung. Auf den Tuhstag ging übrigens der Dienstag hervor. Mein Vater war der Bürgermeister von Luckenwalde. So, das hätten wir geklärt. Ich war der Chefredakteur der Neuen Preußischen Zeitung, als Theodor Fontane nach seinen Jahren in England eine feste Anstellung in Berlin suchte. 

Ich selbst war seit 1850 in der Redaktion dieser unter anderem von Otto von Bismarck gegründeten, streng konservativen, königsnahen Tageszeitung, die wegen des großen Eisernen Kreuzes im Titel allgemein „Kreuzzeitung“ genannt wurde. Den Posten des Chefredakteurs übernahm ich von Hermann Wagner, einem der Männer der ersten Stunde. Immerhin stieg die Auflage unseres Blattes unter meiner Leitung kontinuierlich. Ab 1888, das war allerdings lange nach meiner Zeit, kam sie sogar an sechs Tagen in der Woche mit jeweils zwei Ausgaben heraus.

Für das, was ich Ihnen jetzt berichten möchte, benötigen Sie starke Nerven. Denn Sie erhalten Einblicke in die damalige journalistische Praxis, von der ich allerdings glaube, dass sie auch heute noch so anzutreffen ist. Und Theodor Fontane war mittendrin. Vorausschicken möchte ich, dass er auch schon in den 1850er Jahren für uns aus London berichtete. Er versorgte uns mit Berichten über die britische Innen- und Außenpolitik, über das Bild Preußens in der britischen Öffentlichkeit, über Literatur, Theater, Sitten und Gebräuche, Verbrechen, sogar über technische Entwicklungen und größere Katastrophen. 

Da lag es nahe, dass er auch von Berlin aus britische Themen für uns bearbeitete. Die Konditionen für seine Arbeit waren sehr günstig: täglich drei Arbeitsstunden bei 900 Taler jährlichem Gehalt. Es blieb genügend Zeit für seine sonstigen schriftstellerischen Betätigungen. Später erfuhr ich, dass er unter anderem für seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ unterwegs war. Ich ließ ihm gern freie Hand für seine Unternehmungen.

Aber wie kam Fontane an seine Informationen über all das, was sich in Großbritannien und in dessen Kolonien abspielte? Er schrieb aus anderen, meist deutschen und englischen Zeitungen ab. Mal nannte er die jeweilige Quelle, mal verzichtete er darauf. Skrupel über diese Praxis waren zu unserer Zeit unüblich. Bei dieser Praxis kam es nicht in erster Linie darauf an, die beschriebenen Ereignisse selbst bezeugen zu können, sondern die glaubhafte Beschreibung war ausschlaggebend. Wir nannten sie „unechte Korrespondenzen“ – aber sie waren von relativ hohem Anspruch. 

Meistens waren sie in Briefform geschrieben, wobei durch erfundene Orts- und Datumsangaben so getan wurde, als seien sie tatsächlich in London abgeschickt worden. Rund 400 solcher „unechten Korrespondenzen“ hat Fontane zwischen 1860 und 1870 für uns geschrieben. Als er aus der Redaktion unserer Zeitung ausschied, war ich längst nicht mehr ihr Chefredakteur. Ihre konservative Haltung passte offenbar schon lange nicht mehr zu seinen liberalen Ansichten, wie sie in seinen späteren Romanen zum Ausdruck kamen.

Theodor Storm (1817 – 1888)

Französischer Preuße und friesischer Nicht-Preuße

Fontane und ich waren Namensvettern: Theodor war unser beider Rufname. Davon abgesehen, dass wir uns beide in der Schriftstellerei versuchten, gibt es allerdings kaum Gemeinsamkeiten. Ich kam in Husum zur Welt. Das befand sich im Herzogtum Schleswig, damals ein dänisches, aber gemischt-sprachiges Lehen. Meine Familie war deutsch, wohlhabend. Die raue Nordsee hat uns zu einfachen, geradlinigen, vielleicht auch sturen Menschen gemacht. Ich gehörte zu denen, die sich während der Erhebung von 1848 bis 1851 gegen die dänische Fremdherrschaft engagierten. 

Mein Verhalten „wider die Obrigkeit“ führte dazu, dass mir die Zulassung als Rechtsanwalt verwehrt wurde. Also machte ich mich auf den Weg in die preußische Hauptstadt. Aber dort empfing man mich keineswegs mit offenen Armen. Einen Aufmüpfigen mochten die Preußen nicht, auch wenn er für ihre Sache stritt. Suspekt wurde ich auch durch meine bisher veröffentlichten Verse und Novellen, in denen ich die überkommene Beamtenhierarchie und den in jeder Beziehung verkommenen Adel angriff. So verschaffte man mir gnädigst eine unbezahlte Anstellung am Kreisgericht in Potsdam. Ich führte dort mit meiner Familie ein kümmerliches Leben und verließ die Militärstadt nach drei Jahren wieder.

Das war im Jahr 1852, als ich Theodor Fontane kennenlernte. Wir trafen uns im Dichterverein „Rütli“, einem Ableger des einflussreichen „Tunnels über der Spree“. Der gab zunächst Gelegenheitspoeten eine Bühne, um ihre Verse vorzutragen. Der große Emanuel Geibel nannte den Verein „Kleindichterbewahranstalt“. Im Lauf der Zeit wuchsen jedoch die Ansprüche an das literarische Vermögen der Mitglieder, und der „Tunnel“ prägte für Jahrzehnte das kulturelle Leben in Berlin mit. Theodor Fontane, 1843 erstmals dortiger Gast, war ein beredtes Beispiel für die zunehmende Bedeutung. Im „Rütli“ trafen sich die anspruchsvolleren Köpfe. Hier durften sogar die Ehefrauen der Mitglieder zuhören. Mein erster Auftritt dort war ein Triumph, nicht zuletzt in der Damenwelt. 

Fontane und ich hatten viele angeregte Unterhaltungen. Er meinte viel später, dass diese Begegnungen zu den glücklichsten Fügungen seines Lebens gehörten. Und das, obwohl er mich stets als die Verkörperung des Provinzialismus sah und gern die Unterschiede zwischen uns betonte! „Er war für den Husumer Deich, ich war für die London-Brücke.“ In seinen Erinnerungen „Von Zwanzig bis Dreißig“ widmete er mir immerhin ein ganzes Kapitel. Das aufstrebende, machtgierige Preußen, wie ich es in Potsdam und Berlin erleben musste, empörte mich. Hier wurde der Mensch nicht nach seiner Persönlichkeit beurteilt, sondern nach Rang, Titel und Orden. 

Wenn Fontane auf meine Anwürfe gelassen reagierte, regte mich das noch mehr auf. Ich denke, er sprach mir einfach das Recht ab, als steifer Nicht-Preuße über seine geistige Heimat richten zu können. Trotzdem währte unser Briefwechsel ganze 35 Jahre. Wir schrieben über die geselligen Treffen in Berlin und in Potsdam, bei denen auch manchmal die Ehefrauen dabei waren, und wo wir uns gegenseitig aus eigenen Texten vorgelesen haben.