Helmuth von Moltke (1800 – 1891), ab 1870 Graf
Der Held der Kriegsbücher
Ich bin ein Musterbeispiel. Erstens dafür, dass in Deutschland Generäle der Berufsstand mit der höchsten Lebenserwartung sind. Und zweitens dafür, dass man als Kommandeur trotzdem als „der große Schweiger“ in die Geschichte eingehen kann. Seit 1858 war ich Chef des preußischen Generalstabs und bekleidete diesen Posten in den Deutschen Einigungskriegen 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich. Die Entscheidungsschlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 habe ich selbst befehligt.
Aber meine wahre Berufung waren Strategie und Taktik. Ich gehörte nicht zu denen, die vorgaben, einen Krieg vom Anfang bis zum Ende militärisch vorausplanen zu können. Daher entwarf ich das Konzept der Auftragstaktik. Ich warf die schon unter dem Soldatenkönig eingebläute Befehlskette über den Haufen und gewährte den Unterführern bisher nicht dagewesene Handlungsfreiheit. Jeder hatte gemäß seinem Auftrag verantwortungsvoll zu handeln. In einigen heutigen Armeen ist dieser Führungsstil Teil ihrer Militärdoktrin. Mein Motto war immer: „Erst wägen, dann wagen.“
Aber ich sollte mich hier zu Theodor Fontane äußern. Vorab: Ich bin ihm nie persönlich begegnet. Gleichwohl fühle ich mich ihm dankbar verpflichtet. Fast zehn Jahre seines Lebens hat er damit verbracht, meine Kriege nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Über jeden der Kriege hat er ein umfangreiches Werk veröffentlicht. Zusammen ergeben sie 5.000 Druckseiten. Dabei hat er es nicht beim fleißigen Aktenstudium in der Schreibstube bewenden lassen. Er ist zu den Schauplätzen der Auseinandersetzungen gefahren, hat dort mit Augenzeugen gesprochen und Eindrücke von der Landschaft einfließen lassen. Fontane schrieb seine Kriegsbücher als preußischer Patriot. Kein Zweifel, aber ganz ohne Überheblichkeit oder Chauvinismus. Lesen Sie selbst über seine Eindrücke bei Königgrätz: „Welch prächtiges Panorama! Vor uns jetzt, nach links hin, der glitzernde Streifen der Elbe und unmittelbar dahinter die hohen Thürme von Königgrätz; nach rechts hin das Plateau von Streselitz (das Actionsfeld des großen Reitergefechts) und dahinter Problus samt den andern Kampfesstätten der Elb-Armee. Alles am Horizonte verschwindend. Ein prächtiges Bild, das, in Stille und Sonnenschein daliegend, einen Augenblick vergessen lassen konnte, welches Feld dies war; aber der leise Ostwind, der, vom Dorf Chlum her, jetzt über das frischgepflügte Ackerfeld zu uns herwehte, mahnte uns zu deutlich daran, wo wir waren – der Hauch der Verwesung war in der Luft. Auch jetzt noch, nach sieben Wochen.“
Eigentlich hatte er nie vor, auch noch über den Deutsch-Französischen Krieg zu schreiben. Aber er ließ sich überreden, mitten im Krieg in Feindesland zu fahren. Dort geschah, was geschehen musste – er wurde als Spion verhaftet und eingesperrt. Wie er freikam, kann ihnen von Bismarck besser erzählen. Ich bedauere sehr, dass Fontanes Kriegsbücher nie die Aufmerksamkeit erhielten, wie sie es verdient hätten. Aber er ist ja wohl als Romancier und nicht als Amateurstratege in die Literaturgeschichte eingegangen. Ich gebe zu: Die gewaltige Stofffülle ist kein einfacher Lesestoff für Nicht-Militärs. Ich möchte nicht, dass Sie mich als Kriegshelden im Gedächtnis behalten.
Ein Jahr vor meinem Tod habe ich im Reichstag vor einem neuen Krieg gewarnt: „Meine Herren, es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg werden – und wehe dem, der zuerst die Lunte in das Pulverfaß schleudert!“ Schlimm, wenn Generäle zu Propheten werden… Übrigens: Obwohl ich als der „Große Schweiger“ in die Militärgeschichte eingegangen bin, gibt es ausgerechnet von mir eine der weltweit ersten Tonaufnahmen. Sie entstand 1889 in Kreisau.