Dr. Georg Friedlaender (1843 – 1914)
Seine Briefe waren Literatur
Mein Name ist Georg Friedlaender. Ich bin zwar jüdischer Abstammung, jedoch christlichen Glaubens. Die preußische Bürokratie hat verhindert, dass ich den für jedermann mosaisch klingenden Namen für mich und meine Nachkommen ablegen konnte. Und das, obwohl ich im Krieg von 1870/71 das Eiserne Kreuz erwarb. Dass ich in der Geisterstunde im Hause Fontane zugegen bin, verdanke ich dem regen Briefwechsel mit dem alten Herrn (er war immerhin 24 Jahre älter als ich). Kennengelernt hatten wir uns 1884, als Fontane mit seiner Gattin und seiner Tochter wieder einmal zur Sommerfrische in Krummhübel, dem heutigen Karpacz, im Riesengebirge weilte.
Ich war damals Amtsrichter im benachbarten Schmiedeberg. Als Beamter hatte ich nun einmal die Stelle anzutreten, für die mich die Obrigkeit vorgesehen hatte. Obwohl ich in Berlin geboren wurde und dort kräftig Wurzeln geschlagen hatte, fand ich mich mit meiner Familie in der fernen Provinz wieder. Wenigstens die Lebensumstände gestalteten sich für uns ordentlich. Wir bewohnten ein Haus, das groß genug war, um Gäste höheren Standes zu geselligen Runden empfangen zu können. So war es mir möglich, viele Kontakte zu interessanten Persönlichkeiten zu knüpfen.
Theodor Fontane fand in mir einen kundigen Gesprächspartner, wenn es um die Geschichte Berlins ging. Aber auch aktuelle politische Fragen, wie zum Beispiel die Kolonialpolitik des Deutschen Reiches, erörterten wir. Nach seiner Abreise setzten wir unsere Unterhaltung per Brief fort. Hierbei erwies sich Fontane als außerordentlich fleißiger Schreiber. Ich frage mich noch immer, wo er die Zeit hergenommen hat, um seine vielen Korrespondenzen zu führen. Um die 10.000 sollen es ja wohl insgesamt gewesen sein. Und – was soll ich Ihnen sagen – in seinen Briefen zeigte ich Fontane von einer ganz anderen Seite als in seinen Romanen. Wie feinfühlig beschrieb er dort das Ringen zwischen dem Traditionellen und dem Neuen. In den persönlichen Schreiben war er viel radikaler und unversöhnlicher gegenüber dem Alten, Überkommenen. Er äußerte sich viel ungezügelter und ungeduldiger. Den Briefen vertraute er alles an, was ihm auf der Seele brannte. Das alles aber dennoch im Plauderton, mit Esprit, Humor und einer guten Prise Selbstironie. Hier zeigte sich der wahre Fontane.
Es ist erstaunlich, dass Fontane jeden eingehenden Brief beantwortete. Dabei beließ er es in den seltensten Fällen bei allgemeinen Floskeln und feilte an ihnen, als wären es literarische Werke. Er selbstbgezeichnete sich als „Mann der langen Briefe“. Er schrieb sie mit einer selbstgeschnittenen Schwanenfeder. Auch die Briefe an mich wurden nach vielen Jahren, es war 1954, in einem kleinen Buch herausgegeben.
Leider hatte seine Ehefrau die im Nachlass noch vorhandenen Briefe vernichtet. Dadurch kann man nur noch die Hälfte der Korrespondenz nachlesen. Übrigens: Sein Briefschreibetalent hat Fontane an seine Tochter Mete weitergereicht. Auch ihre Briefe haben einen Verleger gefunden.