Girolamo Marchese Lucchesini (1751 – 1825)
Den die Hunde liebten
Ich bin hocherfreut, mich Ihnen vorstellen zu dürfen. Mein Name ist Girolamo Marchese Lucchesini. Würden wir uns heute irgendwo in Lucca, wo ich 1751 geboren wurde, treffen können, sollten Sie einfach Gino zu mir sagen. Ich wurde 1780 Kammerherr Friedrichs des Großen, sein Bibliothekar und Vorleser und blieb es bis zu seinem Tode. Der König war bei meinem Eintreffen in Potsdam 68 Jahre alt und wirkte körperlich schon sehr zerbrechlich. Sein Geist aber war hellwach. Besucher empfing er kaum noch. Immer mehr waren es die Hunde, seine Windspiele, die die gesamte Aufmerksamkeit des Königs auf sich zogen.
Mein Vorgänger Henri de Catt hatte es 22 Jahre beim König ausgehalten. Er führte Tagebuch über die Gespräche mit Friedrich und veröffentlichte das später. Ohne ihn wären die Friedrich-Biografen späterer Zeiten nur halb so schlau. De Catts Einnahmen erlaubten es ihm, eines der schönsten Stadtpalais von Potsdam zu bewohnen, und ihm wurde die Ehre zuteil, Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu sein. Plötzlich aber ließ ihn der König wie eine heiße Kartoffel fallen, angeblich wegen eines Damenbesuchs hinter seinem Rücken.
Aber ich möchte Ihnen viel lieber von den Hunden des Königs erzählen. Sie werden es kaum glauben, ich habe es der reizenden Alcmene, dem Lieblings-Windspiel des Königs, zu verdanken, dass ich mit 29 Jahren Kammerherr Friedrichs des Großen wurde. Denn als ich dem König vorgestellt wurde, sprang Alcmene an mir hoch und wedelte freudig mit dem Schwanz. Majestät waren sehr verblüfft über seine ansonsten gegenüber Fremden zurückhaltende Hündin und meinte: „Eh bien, Marquis! Wenn Alcmene ‚ja‘ sagt, kann ich schlecht widersprechen.“ Alcmene liegt gleich neben Schloss Sanssouci begraben, gleich neben dem König. Wenn Sie genau hinschauen, erkennen Sie ihren Grabstein.
Ihrer Rasse nach waren die Hunde des Königs Italienische Windspiele. Sie stammen vom ägyptischen Windhund Tesem ab, der auf vielen antiken Darstellungen verewigt ist. Das (nicht der!) Italienische Windspiel besitzt in verfeinerter Form alle Merkmale des größeren Windhundes. Es wird nur 32 bis 38 cm groß und bis 5 kg schwer. Dieser Hund ist sehr graziös und elegant, er hat kurzes, feines, weich-seidiges Haar von Schwarz über Grau bis zu Gelb in vielen Nuancen.
Die Hunde des Königs genossen bei Hofe eine Stellung, die nur mit der eines Kammerherren vergleichbar war. Und wie bei seinen menschlichen Untergebenen, waren die Hunde genau in eine Hierarchie eingeordnet. Es gab einen Favoriten, bzw. eine Favoritin, die mit in seinem Bett schlafen durfte, die ihn stets begleiten durfte und der jede Ungezogenheit sofort verziehen war. Die anderen Hunde waren dem Favoriten als Gesellschafter zugeordnet.
Alle Hunde des Königs mussten von den Lakaien mit „Sie“ angesprochen werden – selbstverständlich auf Französisch. Selbst bei offiziellen Soupers mit hohen Staatsgästen durften sie an die Tafel kommen. Ich habe selbst erlebt, wie der König ein Stück Fleisch mit den Fingern von seinem Teller auf das Tischtuch legte, damit es kalt wurde, ehe er es an Alcmene verfütterte. Wie sein eigenes tägliches Menü ließ er sich auch oft das Hundemenü zeigen, um es zu überwachen. Nach der Mahlzeit wurden die Hunde in den Park geführt, um bei frischer Luft zu verdauen.
Vor seinem Tod galten die letzten Gedanken Friedrichs seinen Hunden. Am frühen Morgen des 17. August 1786, gegen 1 Uhr, saß der völlig geschwächte König in einem Sessel, den er sich wenige Wochen vorher hatte anfertigen lassen, weil er vor Schmerzen nicht mehr liegen konnte. Das Windspiel Superbe war bei ihm und zitterte wie er selbst vor Kälte. Kaum noch zu verstehen, befahl er, Superbe mit Kissen zu bedecken. Es soll seine letzte bewusste Äußerung gewesen sein.