Kategorie: <span>Geisterstunde auf Sanssouci</span>

Girolamo Marchese Lucchesini (1751 – 1825)

Den die Hunde liebten

Ich bin hocherfreut, mich Ihnen vorstellen zu dürfen. Mein Name ist Girolamo Marchese Lucchesini. Würden wir uns heute irgendwo in Lucca, wo ich 1751 geboren wurde, treffen können, sollten Sie einfach  Gino zu mir sagen. Ich wurde 1780 Kammerherr Friedrichs des Großen, sein Bibliothekar und Vorleser und blieb es bis zu seinem Tode. Der König war bei meinem Eintreffen in Potsdam 68 Jahre alt und wirkte körperlich schon sehr zerbrechlich. Sein Geist aber war hellwach. Besucher empfing er kaum noch. Immer mehr waren es die Hunde, seine Windspiele, die die gesamte Aufmerksamkeit des Königs auf sich zogen. 

Mein Vorgänger Henri de Catt hatte es 22 Jahre beim König ausgehalten. Er führte Tagebuch über die Gespräche mit Friedrich und veröffentlichte das später. Ohne ihn wären die Friedrich-Biografen späterer Zeiten nur halb so schlau. De Catts Einnahmen erlaubten es ihm, eines der schönsten Stadtpalais von Potsdam zu bewohnen, und ihm wurde die Ehre zuteil, Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu sein. Plötzlich aber ließ ihn der König wie eine heiße Kartoffel fallen, angeblich wegen eines Damenbesuchs hinter seinem Rücken.

Aber ich möchte Ihnen viel lieber von den Hunden des Königs erzählen. Sie werden es kaum glauben, ich habe es der reizenden Alcmene, dem Lieblings-Windspiel des Königs, zu verdanken, dass ich mit 29 Jahren Kammerherr Friedrichs des Großen wurde. Denn als ich dem König vorgestellt wurde, sprang Alcmene an mir hoch und wedelte freudig mit dem Schwanz. Majestät waren sehr verblüfft über seine ansonsten gegenüber Fremden zurückhaltende Hündin und meinte: „Eh bien, Marquis! Wenn Alcmene ‚ja‘ sagt, kann ich schlecht widersprechen.“  Alcmene liegt gleich neben Schloss Sanssouci begraben, gleich neben dem König. Wenn Sie genau hinschauen, erkennen Sie ihren Grabstein. 

Ihrer Rasse nach waren die Hunde des Königs Italienische Windspiele. Sie stammen vom ägyptischen Windhund Tesem ab, der auf vielen antiken Darstellungen verewigt ist. Das (nicht der!) Italienische Windspiel besitzt in verfeinerter Form alle Merkmale des größeren Windhundes. Es wird nur 32  bis 38 cm groß und bis 5 kg schwer. Dieser Hund ist sehr graziös und elegant, er hat kurzes, feines, weich-seidiges Haar von Schwarz über Grau bis zu Gelb in vielen Nuancen.

Die Hunde des Königs genossen bei Hofe eine Stellung, die nur mit der eines Kammerherren vergleichbar war. Und wie bei seinen menschlichen Untergebenen, waren die Hunde genau in eine Hierarchie eingeordnet. Es gab einen Favoriten, bzw. eine Favoritin, die mit in seinem Bett schlafen durfte, die ihn stets begleiten durfte und der jede Ungezogenheit sofort verziehen war. Die anderen Hunde waren dem Favoriten als Gesellschafter zugeordnet.

Alle Hunde des Königs mussten von den Lakaien mit „Sie“ angesprochen werden – selbstverständlich auf Französisch. Selbst bei offiziellen Soupers mit hohen Staatsgästen durften sie an die Tafel kommen. Ich habe selbst erlebt, wie der König ein Stück Fleisch mit den Fingern von seinem Teller auf das Tischtuch legte, damit es kalt wurde, ehe er es an Alcmene verfütterte. Wie sein eigenes tägliches Menü ließ er sich auch oft das Hundemenü zeigen, um es zu überwachen. Nach der Mahlzeit wurden die Hunde in den Park geführt, um bei frischer Luft zu verdauen. 

Vor seinem Tod galten die letzten Gedanken Friedrichs seinen Hunden. Am frühen Morgen des 17. August 1786, gegen 1 Uhr, saß der völlig geschwächte König in einem Sessel, den er sich wenige Wochen vorher hatte anfertigen lassen, weil er vor Schmerzen nicht mehr liegen konnte. Das Windspiel Superbe war bei ihm und zitterte wie er selbst vor Kälte. Kaum noch zu verstehen, befahl er, Superbe mit Kissen zu bedecken. Es soll seine letzte bewusste Äußerung gewesen sein. 

Friedrich Wilhelm von Derschau (1723 – 1779)

Friedrich und die Butter

Gestatten, Friedrich Wilhelm von Derschau, Wirklicher und Geheimer Etats- und Kriegsrat Seiner Majestät Friedrich II. und Vizepräsident des Kriegs- und Domänendirektoriums. Kurz, ich war so etwas wie ein Wirtschaftsminister und als solcher auch für die Ansiedlung von Kolonisten in der Kurmark zuständig. Am Dossebruch haben die Siedler sogar eine Ortschaft nach mir benannt: Großderschau. Dort werden die Besucher gern mit frischer Butter bewirtet. Daher möchte ich darüber berichten, was der große König für die Butter in Brandenburg getan hat.

Ort der Handlung ist das Havelland. Die Gebiete entlang von Rhin und Dosse waren dereinst ein riesiges, für die Landwirtschaft fast unbrauchbares Auengebiet. Bereits zur Zeit des Großen Kurfürsten, der genau in dieser Gegend, bei Fehrbellin, die wichtigste Schlacht seines Lebens gegen die Schweden gewann, begann die Urbarmachung. Die holländische Ehefrau des Kurfürsten, Luise Henriette von Oranien, siedelte hier Kolonistenfamilien aus ihrer Heimat an. Schließlich hatten die Holländer Erfahrung darin, wasserreiche Gebiete nutzbar zu machen. Und was taten sie? Sie nutzten die feuchten Wiesen als Weiden für ertragreiche Rinder und betrieben eine erfolgreiche Milchwirtschaft. Sie belieferten den Berliner Hof mit Butter und Käse. 

Spätere Generationen von Landesherren waren der Meinung, dass das Potenzial an Rhin und Dosse längst nicht ausgeschöpft war, und man begann mit planmäßigen Trockenlegungen. Der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. ließ das Havelländische Luch bändigen und fruchtbare Weiden und Äcker schaffen. Es hieß, nun habe man von einer Kuh soviel an Butter und Käse gehabt, als zuvor von zehn Kühen. Der König befahl die Gründung einer Lehranstalt für Butter- und Käsezubereitung, angesiedelt in Königshorst. Ausgesuchte Bauerntöchter hatten dort unter holländischer Anleitung eine Lehrzeit zu absolvieren. Eine Probe des Könnens jeder Absolventin sollte auf die Tafel des Königs kommen. Wenn sie ihm mundete, gab es einen Brautschatz von 24 Talern. Den Mädchen, die am besten buttern konnten, winkten sogar 100 Taler. 

Aber es kam, wie es oft kommt: Nicht jeder gute Anfang hat ein gutes Ende. Den Brautschatz wollten alle, aber gut buttern konnten nur wenige. Am 21. Dezember 1779 beschwerte sich Friedrich der Große: Die Butter aus Königshorst ist nicht so gut wie sie sein sollte. Dem König des drastischen Ausdrucks wird auch noch folgender Satz zugeschrieben: „Wenn sich die Beamten und Lehrmeister mehr um den Busen der Mägde und Bauerntöchter als um das Euter der Kühe kümmern, dann soll sie der Teufel holen.“ Sollte Friedrich das wirklich auf Deutsch gesagt haben, dann gewiss mit viel mehr Fehlern beim Gebrauch der deutschen Sprache.

Das Ergebnis des königlichen Zorns war die Gründung einer „Ordentlichen Akademie des Buttermachens“ im Jahr 1780. Auch diesmal wurden holländische Spezialisten zu Hilfe geholt. In den Jahren davor hatte Friedrich II. durch Rhinluch und Dossebruch weitere Gräben und Kanäle ziehen lassen. Wieder war Neuland entstanden. 1778 waren 25 neue Ortschaften für 1500 Ansiedler gegründet. Unter den Kolonisten, die sich dort ansiedelten, waren viele Holländer. Die Butterherstellung im Havelland florierte. 1786 schrieb ein Zeitzeuge: „Die daselbst erzeugte wohlschmeckende holländische Tischbutter, womit sich besonders ganz Berlin ergötzet, ist … zur Genüge bekannt.“ Eine dieser Ortsgründungen war Großderschau. Hier werden die Traditionen des Butterns bis heute hochgehalten. 

Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, Maler und Architekt (1699 – 1753)

Der Laie und sein Genie

Unausstehlich sind für mich die Laien, die meinen, dem Fachmann ständig angeblich gute Ratschläge erteilen zu müssen. Und ganz besonders schlimm wird es, wenn der Laie oberster Machthaber seines Landes ist und generell in alles hineinredet. Typische Despotenmanier. Genau diese Situation mussten die allermeisten Architekten unter Friedrich II. erleiden. Nur wer bereit war, sich dem Diktat des Königs in Bauangelegenheiten zu beugen, hatte nichts auszustehen. Sie werden fragen: Warum sind in der Regierungszeit Friedrichs II. so viele künstlerisch wertvolle Bauwerke entstanden? Weil er eben ein sehr kunstverständiger Laie war, einer, der sich zum Schönen hingezogen fühlte. 

Sie erkennen aber sein laienhaftes Herangehen an die Baukunst sofort, wenn Sie versuchen, die äußere Form und die innere Funktion ins Verhältnis zu setzen. Da stimmt nichts! Und wenn etwas stimmt, dann ist das nicht das Verdienst des Königs. Ihm war es egal, ob sich die Fenster eines Wohnhauses am Fußboden entlangziehen, wenn der Bau nur von außen klassisches Ebenmaß aufweist. Oder Schloss Sanssouci. Was hab ich gebeten und gebettelt, er möge bei seinem Weinbergschloss eine Kelleretage einplanen. Nein, er wollte Innen (die Kultur) und Außen (die Natur) möglichst auf einer Ebene halten und zwischen beiden mühelos wechseln können. In diesem Fall musste er selbst leiden: immer kalte Füße, viel Feuchtigkeit in den Wänden – da ist man Rheuma und Gicht schutzlos ausgeliefert, auch wenn man sich König nennen darf.

Genug des Lamentierens: Ich bin Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, geboren im letzten Jahr des kriegerischen 17. Jahrhunderts als Sohn pommerscher Landadliger und somit vorbestimmt für den Militärdienst. Als ich mich1730 in die Dienste des damaligen Kronprinzen begab, zunächst in Neuruppin und dann in Rheinsberg, war das auf dem Gebiet meiner wahren Leidenschaft – der Architektur und der Künste. Die Doppelturmanlage des Schlosses zu Rheinsberg ist mein Werk. Ich war Friedrich ein Freund, ein Lehrer, ein Diener. Zwar war ich 13 Jahre älter als Seine Majestät, aber wenn zwei Hitz- und Dickköpfe aufeinanderprallen, treten Standes- und Altersunterschiede zurück. Und wissen Sie, was das Verrückteste ist? Ich war selbst nur ein Autodidakt, habe als Laie angefangen und mir selbst verschiedene Künste beigebracht: Ich betätigte mich als Maler, Gartengestalter, Dekorateur, schließlich als Architekt. Mit der Königlichen Oper Unter den Linden in Berlin löste ich eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Ein derart großes Theatergebäude hatte es bis dahin in Preußen nicht gegeben. Ich orientierte mich an den besten Vorbildern, den Bauwerken der Antike, dem Renaissance-Baumeister Palladio, dem Rokoko-Maler Antoine Watteau, dem Hofmaler Antoine Pesne, mit dem ich bis zum Tode befreundet blieb.

Ich möchte hier nicht nur schlechte Worte über König Friedrich verlieren, obwohl das, was heute in den Geschichtsbüchern als „Zerwürfnis“ beschrieben wird, ein Rausschmiss erster Güte war. Bedenken Sie: Gemeinsam haben wir einen eigenen Baustil hervorgebracht: das fridericianische Rokoko. Ein Schloss nach dem anderen haben wir gebaut – in Charlottenburg, in Potsdam und auf dem Weinberg bei Potsdam. Als aber der König glaubte, andere Baumeister würden es ebenso gut können, durfte ich nur noch Kasernengebäude für die Garde du Corps, die berittene Leibgarde des Königs, entwerfen. 

1750 haben sich der König und ich zum letzten Mal gesehen. Ich starb mit gerade 54 Jahren. Vier Monate nach meinem Tod hielt der König im Januar 1754 in der Berliner Akademie der Wissenschaften eine Lobrede auf mich. Es war wohl ein einmaliger Vorgang, dass ein königlicher Bauherr eine solche Würdigung ausspricht. In seiner Rede sagte der König: „Es ist ein Kennzeichen des Genies, dass es seinen natürlichen Neigungen unbezwinglich folgt und klar erkennt, wozu es geschaffen ist.“ Wenn er das nur schon zu meinen Lebzeiten so gesehen hätte!

Johann Ernst Gotzkowsky (1710 – 1775)

Porzellan für den preußischen Hof

Mein Name ist Johann Ernst Gotzkowsky. Stimmt‘s, jetzt überlegen Sie, wo Sie den Namen schon einmal gehört haben. Ich helfe Ihnen: In Berlin-Moabit gibt es eine nach mir benannte Straße, die direkt auf die Spree zuführt, und dort ist auch noch eine große Brücke nach mir benannt. Na, zumindest haben mich die Berliner nicht vergessen. Aber in bitterster Armut sterben lassen, das haben sie mich. Obwohl ich einmal ihr gefeierter Held und Wohltäter war. Ja, so kann es gehen. 

Aber heute wollen wir von schöneren Dingen sprechen. Von edelstem Porzellan zum Beispiel. Unser König Friedrich kannte mich als einen Mann, dem alles gelang, was er nur anpackte. Und ich packte nur das an, was wirklich Gewinn versprach. Die persönlichen Bedürfnisse des Königs, seiner Angehörigen, der allerbesten Berliner Gesellschaft waren es, die mir die Richtung wiesen. Ich handelte mit Luxusgütern und stellte selbst feinste Stoffe her. Auch in den Kunsthandel stieg ich ein. Als Majestät seine Bildergalerie im Park Sanssouci errichten ließ, war ich es, der für die Gemälde sorgte. Ich war wer, das können Sie mir glauben, und alles aus eigener Kraft. Wenn Sie jetzt sagen, ohne meine guten Beziehungen nach oben wäre nichts gelaufen, dann sage ich Ihnen: Kommen Sie erst mal zu guten Beziehungen und halten Sie sie lange am Leben. Das ist eine Herkules-Aufgabe!

Der Siebenjährige Krieg war mein Schicksal. Ich besaß das Vertrauen des Königs und unterhielt gleichzeitig Verbindungen zur Gegenseite, zu Russen und Sachsen. Kriegsfeinde. Als die Russen im Oktober 1760 für eineinhalb Wochen Berlin besetzten, war ich es, der unter Lebensgefahr die Verhandlungen führte, der die russischen Offiziere bestach, das Geld für die Kontribution auftrieb und letztlich die Berliner vor Plünderungen bewahrte. 

Nur vier Wochen nach diesem Abenteuer empfing mich unser König auf der Albrechtsburg zu Meißen, wo er sein Hauptquartier eingerichtet hatte. Er hatte um sich herum einige Porzellan-Figuren aufgestellt und sagte, dass er sich nach dem Krieg in Preußen ebenfalls eine Fabrik wünscht, die dergleichen Schönheit herzustellen vermag. Sein Wunsch war mir Befehl, denn einerseits gab es mit dem König bereits einen zahlungskräftigen Kunden, und andererseits Bestand die Möglichkeit, Fachkräfte aus Meißen nach Berlin abzuwerben. 

Dennoch gestaltete sich das Vorhaben extrem schwierig. Die Meißner Arkanisten – also jene Geheimnisträger, die die genaue Materialzusammensetzung kannten – befanden sich unerreichbar außer Landes. Auch Porzellanmaler waren rar. Aber zum Glück gab es hier und da Leute, die sich bereits mit der Porzellanherstellung befassten. Die musste ich nur für mein Vorhaben begeistern. Mit ausreichend Geld gelang das. Dort, wo heute am Ende der Leipziger Straße der Bundesrat sein Gebäude hat, baute ich die Berliner Porzellanmanufaktur. Fast 150 Beschäftigte hatten wir dort.

Das Vorhaben erwies sich allerdings als ein finanzielles Fass ohne Boden. Die Aufbereitung des Materials, die Brennöfen, die Farben – Sie glauben nicht, was da alles stimmen muss, damit ein erstklassiges Porzellan entsteht. Wir haben es geschafft! Und das mitten im Krieg, in Zeiten bitterster Not. Wir hatten die Fabrik und das Porzellan, aber niemand hatte das Geld, unsere Produkte zu kaufen. Auch der König zeigte sich zurückhaltend. Mir gingen mehr und mehr die Mittel aus. Kaum war der Krieg zu Ende, kam die nächste Katastrophe: ein allgemeiner Bankenkrach. Ich verlor mein gesamtes Vermögen und sah mich gezwungen, die Porzellanfabrik zu verkaufen. Zum Glück zeigte der König Interesse. Wir setzten einen Vertrag auf, am 10. September 1763 gingen alle entscheidenden Unterlagen an den Hof und bereits einen Tag später kamen Majestät in die Leipziger Straße, um seine Erwerbung zu visitieren: die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin. Ich selbst versuchte mich noch als Porzellan-Händler. Aber – wie ich bereits schilderte – ohne Erfolg.

Carl Friedrich Bückling (1756 – 1812)

Die zweite Erfindung der Dampfmaschine

Ich wurde 1756 in Neuruppin geboren. Hier diente Kronprinz Friedrich als Kommandeur bis zur Thronbesteigung 1740. Dem König bin ich persönlich nie begegnet, jedoch hat er auf mein Leben einen großen Einfluss ausgeübt. Ich gelte als der Preuße, der die erste Dampfmaschine nach Wattscher Bauart fertigte. Und das auf Befehl unseres Königs. Lange Zeit suchten Ingenieure und Scharlatene gleichermaßen fieberhaft nach einer Kraft, die stark genug ist, das Grubenwasser aus den tiefen Kohle- und Erzschächten nach oben zu befördern. Weder Menschen, noch Tierkraft reichten hierfür aus. Windmühlen waren da schon sinnvoller – aber was tun bei Windstille? Der gute Johann Esaias Silberschlag, nach dem später sogar ein Mondkrater benannt wurde, schrieb an Friedrich II. und machte ihn auf die in England, Ungarn und Schweden bereits eingesetzte Maschine mit Dampfantrieb aufmerksam. Der schob alle Bedenken beiseite und befahl, dieses Wunderwerk herbeizuschaffen.

Am 23. April 1778 erhielt Oberbergrat Freiherr Waitz von Eschen per Ordre König Friedrichs II. den Auftrag, nach England zu reisen und dort die Konstruktion der Wattschen Dampfmaschine, deren Effekt und Kosten zu erkunden und entsprechende Zeichnungen anzufertigen. Ich war damals im preußischen Berg- und Hüttendepartment in Berlin als Bauinspektor angestellt und fühlte mich sehr geehrt, dass man mich als Reisegefährten auswählte. Noch im Mai traten wir unsere Reise an. In Birmingham angekommen, lud uns Mister Watt zu einer Besichtigung durch seine Fabriken ein. 

Er zeigte uns stolz seine neuartige Dampfmaschine und plauderte über alle möglichen Details dieser Erfindung: über ihren Wirkungsgrad, die effektivste Zuführung des Dampfes, die Regelung etc. Am Tag nachdem wir in Watts Haus gespeist hatten, fuhren wir noch einmal in die Fabrik, bestachen einen Arbeiter, damit er die Maschine in allen Einzelheiten auseinanderbaue und ich von allen Teilen Zeichnungen machen konnte. 

Auf Grundlage meiner Zeichnungen hatten wir 1783 ein Modell der Wattschen Dampfmaschine fertig. Ich gebe zu, es funktionierte nicht perfekt. Trotzdem bewilligte der König das Geld für den Bau einer richtigen Dampfmaschine für die Kupfergrube in Hettstedt am Rande des Harzes. Mir übertrug man die Oberaufsicht über das Projekt. Die Aufgabe bestand schlicht und einfach darin, die Dampfmaschine ein zweites Mal zu erfinden. 

Einerseits musste ich stets befürchten, dass meine Zeichnungen zu ungenau waren und ich wichtige Details übersehen hatte, andererseits mangelte es uns an den nötigen Materialien. Zum einen wiesen die vorhandenen Werkstoffe nicht die ausreichende Festigkeit auf, andererseits benötigten wir für die Befeuerung Brennstoffe mit sehr hohem Heizwert. Aber Koks gab es bei uns praktisch nicht. Es gelang mir vor allem nicht, die Ein- und Auslassventile nach Belieben zu regeln.

Zum Glück erhielt ich Gelegenheit zu einer zweiten Reise nach England. Diesmal gelang es mir, mit viel Bestechungsgeld einen englischen Ingenieur abzuwerben. Er hieß William Richards und folgte mir nach Preußen. Wir besaßen nun die exakten Baupläne für eine eigene Dampfmaschine nach Watts Vorbild. Aber seine Mitarbeit schien anfangs vergebens. Die Steuerung funktionierte zwar einwandfrei, doch war das Material nach wie vor zu verschleißanfällig. Erst als es mir gelang, eine Firma ausfindig zu machen, die die Geräte in erforderlicher Qualität herstellen konnte, konnten die Probleme gelöst werden. Danach arbeitete die Maschine einwandfrei. Am 23. August 1785 haben wir die erste Dampfmaschine Wattscher Bauart feierlich in Betrieb genommen. Das Aufatmen war groß. Die von der Dampfmaschine betriebenen Pumpen zeigten, was sie konnten. Der König durfte diesen Erfolg ein Jahr vor seinem Tod noch erleben.

Friedrich Wilhelm II. (1744 – 1797)

Neffe und Nachfolger

Es gehört nun einmal zu den Hausgesetzen der Hohenzollern, dass der Zweitgeborene in die Nachfolge tritt, wenn der Erstgeborene ohne Thronerbe bleibt. Da spielte es keine Rolle, ob der eine nicht wollte oder nicht konnte, ob zwischen den Brüdern Eintracht herrschte oder gar Verachtung und schon gar nicht wurde danach gefragt, ob einer fürs Regierungsgeschäft taugte oder nicht. Auch dem großen König war dieses Gesetz heilig. Sonst hätte er es als Oberhaupt der Familie nicht erlaubt, dass der von ihm ins Schloss Oranienburg verstoßene August Wilhelm weiter als „Prinz von Preußen“ und damit als Thronfolger fungierte. Aber das Schicksal wollte es, dass er nicht einmal 36 Jahre alt wurde. So machte die dynastische Logik mich zum Anwärter auf den Thron. Ich war zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt. 

Friedrich der Große zog es allerdings vor, noch 28 Jahre die Herrschaft über Preußen auszuüben. In dieser Zeit durfte ich mich nun zwar als „Prinz von Preußen“ ansprechen lassen, aber behandelt wurde ich vom alten König wie ein Laufbursche. Er mochte mich vielleicht noch weniger als meinen Vater. Ich erhielt eine äußerst strenge Soldatenerziehung. Fast täglich musste ich auf der Potsdamer Parade erscheinen. Wenn ich nach Berlin wollte, musste ich um Erlaubnis fragen, zu den Tafelrunden auf Schloss Sanssouci war ich im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Familie nicht zugelassen. 

Wissen Sie, was er ein Jahr vor seinem Tod dem Grafen Karl Georg von Hoym anvertraute? „Ich werden Ihnen sagen, wie es nach meinem Tode gehen wird, es wird ein lustiges Leben am Hofe werden, mein Neffe wird den Schatz verschwenden, die Armee ausarten lassen. Die Weiber werden regieren und der Staat wird zugrunde gehen.“ Sollte ich den Alten etwa Lügen strafen. Ich gab mir jedenfalls Mühe, ihn im Recht zu lassen.

Man gestattete mir in jungen Jahren nicht, Kind zu sein. Meine Erziehung glich einer Dressur, als meine Hauslehrer Mitglieder der Königlichen Akademie der Wissenschaften herangezogen. Selbstverständlich fast nur französische. So, wie König Friedrich das Flötenspiel liebte, war ich ein Freund des Cellos. Sogar das Genie Mozart kam, um mit mir zu spielen. Die militärische Ausbildung entsprach dem Drill, den auch die preußischen Grenadiere zu erdulden hatte. 

Wir waren nun einmal aus gänzlich unterschiedlichem Holz geschnitzt. Er war ein Menschenfeind, lebte weitgehend zurückgezogen und zeigte kaum Interesse an Frauen. Ich dagegen achtete die Menschen und redete sie mit „Sie“ an, nicht mit „Er“ wie mein Oheim, ich widersetzte mich der höfischen Etikette, war wohlwollend zu Untergebenen. Auf mein Geheiß hin wurde das Theater am Gendarmenmarkt zum deutschen Nationaltheater. 

Ich wurde wegen meiner zahlreichen Mätressen belächelt. Aber fügte ich mich damit nicht in den Chor der an den europäischen Höfen herrschenden Gepflogenheit ein? Besucher bezeichneten mich als „schönen Mann, regelmäßig gebaut, braunes Haar und blaue Augen und sehr angenehme Züge“. Sollte ich mich also den Damen verweigern? Aber kann man Wilhelmine Encke tatsächlich als Mätresse bezeichnen?  Wir hatten sechs gemeinsame Kinder, und wir führten lange Zeit eine normale, bürgerliche Ehe. Sogar Friedrich der Große akzeptierte sie und erkannte sie als offizielle Mätresse an. 

Auf meine permanenten Geldsorgen möchte ich hier nicht eingehen. Mein Onkel hat es streng vermieden, mich in die politischen Abläufe seiner Regierung einzuführen. Also gelangte ich gänzlich unerfahren auf den Thron. Was blieb mir anderes übrig, als mich auf eine Kabinettsregierung zu verlassen. Wie sich zeigte, war das das größte Malheur meiner Regentschaft, denn schlichte Ratgeber schlichen sich in Scharen ein.

Prinz Heinrich (1726 – 1802)

Der kleine Bruder

Ich bin Prinz Heinrich, geboren als 13. Kind meiner Eltern Friedrich Wilhelm I. und Sophie Dorothea. Wie mein Bruder Friedrich, der als erstgeborener Sohn natürlicher Thronerbe war, kam ich zur Berliner Ballsaison im Januar zur Welt, aber nicht wie er als Sonntagskind. Ich kam an einem Freitag. Obwohl viele meinten, ich sei an Geisteskräften, Charakterstärke und Umsicht meinem ältesten Bruder überlegen, konnte ich mir niemals Hoffnung machen, den preußischen Thron zu besteigen. Einen anderen schon. Wussten Sie, dass mir zweimal die polnische Krone angetragen wurde und nur die Intervention meines Bruders Friedrich verhinderte, dass ich eine Herrschaft an der Weichsel übernahm. Dass ich König der USA werden sollte, wurde niemals ernsthaft erörtert. Aber eine Option war es für den Fall, die Gründungsväter der Vereinigten Staaten hätten sich anstelle einer Republik für eine Monarchie entschieden. Dass ich überhaupt ins Gespräch kam, mag wohl darin begründet gewesen sein, dass ich als Mensch mit liberalen Ansichten und viel diplomatischem Geschick galt. Übrigens hatte ich keine Probleme mit den französischen Revolutionären. Bei den Berliner Hofschranzen hatte ich den Spitznamen „Jakobiner“. Meinen politischen Rat wollte bei Hofe keiner hören. Vielleicht wollten sie nicht hören, dass das alte Preußen dem Untergang entgegenwankte. Zum Glück musste ich das Debakel von Jena und Auerstädt nicht miterleben. Ich hatte diese Welt vier Jahre zuvor verlassen.

Nun sollte ich Ihnen aber meine Meinung über meinen Bruder Friedrich mitteilen. Welche Meinung wollen Sie hören? Die des dankbaren kleinen Bruders, der in Berlin von ihm ein Palais, fast so groß wie das ganze Schloss, und außerdem noch das Rheinsberger Anwesen geschenkt erhielt und der an seiner Seite eine glanzvolle militärische und diplomatische Karriere machen konnte (mein Bruder meinte später, ich sei der einzige General im Siebenjährigen Krieg gewesen, der keinen Fehler beging). Oder wollen Sie die Meinung eines Bruders hören, der vom Älteren ebenso despotisch behandelt wurde wie der einst von seinem Vater? Auch ich musste in eine Zwangsheirat einwilligen, um dem herrischen Regime zu entkommen. Nur war es das von Bruder Friedrich. 

Die mir zugeschriebenen Zitate, ich habe meinen Bruder als „Hanswurst“, „die gemeinste Bestie, die Europa hervorgebracht hat“, „unser Wüterich“ und ähnlich beschrieben, kann ich nur bestätigen. Man sagt, das erste Denkmal für Friedrich „den Großen“ stehe in Neuhardenberg. Das 1792 errichtete Monument  zeigt die Dichtergöttin Minerva und den Kriegsgott Mars, wie sie Friedrich betrauern. Ich sage Ihnen aber, dass ich gegenüber meinem Rheinsberger Schloss bereits 1790 ein Denkmal errichten ließ. Nur erinnert das nicht an die großen Taten Friedrichs, sondern an seine Missetaten. Der weithin sichtbare Obelisk erinnert an 29 Heerführer, die Opfer der „Kriegskunst“ Friedrichs wurden oder schwer unter ihm zu leiden hatten. Es bestand kein Grund, den König selbst dort zu verewigen. Auch das ist ein Denkmal! Ein sehr ehrliches.

Aber vielleicht sollte ich viel mehr über die schönen Dinge berichten, und die haben viel mit Rheinsberg zu tun. Später sollte das Schloss am Grienericksee als der Ort in die Geschichte eingehen, wo Friedrich ein paar schöne Jahre als Kronprinz verlebt hat. Ich habe dort 50 Jahre verlebt (nur vom Krieg unterbrochen). Und was für Jahre! Wir unterhielten hier einen Musenhof, um den uns selbst die Berliner beneiden konnten. Mindestens zweimal in der Woche gab es Theater, der Park wurde zur Sehenswürdigkeit und wir gründeten eine Fayencemanufaktur. Wir feierten Feste, die keiner vergaß. Höhepunkt war der Geburtstag meines jüngeren Bruders Ferdinand am 25. Mai. Stets gab es eine neue Theaterinszenierung und einen rauschenden Ball. Und es gab eine Bauernhochzeit. Dafür suchte ich mir ein armes Bauernpaar aus, kleidete es ordentlich ein und spendierte allen Gästen das Hochzeitsessen in meinem Park. Ich und unser gesamter Hofstaat nahmen – selbstverständlich in Bauerntracht gekleidet – daran teil. Wenn Sie mögen, besuchen Sie mein Grab nicht weit vom Rheinsberger Schloss. Es ist eine Pyramide, der die Spitze weggebrochen wurde.

Wilhelmine von Bayreuth (1709 – 1758)

Die geliebte Schwester

Ich bitte Sie, versäumen Sie beim Besuch des Parks von Sanssouci keinesfalls, mir Ihre Aufwartung zu machen. Sie sind stets willkommen. Vielleicht müssen Sie mich ein wenig suchen. Abseits der Hauptallee, kurz vor dem gewaltigen Neuen Palais, finden Sie den Freundschaftstempel; und dort sitze ich, einen Brief in der Hand, und es ist nicht schwer zu erraten, von wem er stammt. Von meinem kleinen Bruder Fritz, den Sie als den „Großen“ bezeichnen.  Wir beide wissen, was es heißt, ein „Königskind“ zu sein: Lieblosigkeit, Strenge und Entbehrungen. Ich vergaß, mich vorzustellen. Mein Name ist Friederike Sophie Wilhelmine;  geboren wurde ich am 3. Juli 1709. Just zu dieser Zeit fand das „Dreikönigstreffen“ statt und mein Großvater Friedrich I. in Preußen hatte hohen Besuch: König Friedrich IV. von Dänemark und August der Starke, König von Polen und Kurfürst von Sachsen. Dieses Königstreffen war ein rauschendes Fest, und alle drei wurden meine Taufpaten. Ist das nicht entzückend, wenn man bedenkt, dass sich mein Vater viel lieber einen Knaben gewünscht hätte, denn bei uns Hohenzollern gibt es nur eine männliche Thronfolge. 

Meine Kindheit und die meines drei Jahre jüngeren Bruders habe ich in meinen Memoiren geschildert.  Dort können Sie nachlesen, wie mein Vater mich, aber viel mehr meinen Bruder, tyrannisierte. Jeder Berliner Tagelöhner hätte sich so gegenüber dem eigenen Kind aufgeführt. Ich aber liebte meinen Bruder und schrieb in meinen Memoiren: „Er war der liebenswürdigste Prinz, den man sehen konnte, hübsch gewachsen, voll Geistesüberlegenheit und mit allen Eigenschaften, die einen vollkommenen Fürsten zieren, versehen.“ Ich selbst hatte unter meiner Erzieherin Leti zu leiden, sie schlug mich und behandelte mich grob. Meinen Eltern aber konnte ich mich nicht anvertrauen, denn auch sie lebten im Dauerzwist. Ein Wunder, dass meine Mutter vierzehn Kinder gebar, von denen zehn das Erwachsenenalter erreichten. 

Sie müssen wissen, dass meine Mutter aus dem Hause Hannover kam, das den englischen Thron besetzte. Ihr Vater war der englische König Georg I. Da liegt es nahe, dass meine Mutter eine Verbindung zwischen dem mächtigen England und dem armen Preußen herbeiführen wollte. Und das durch meine Vermählung mit dem englischen Thronfolger. Für meinen Vater war ich aber ein beliebiger Spielball seiner politischen Interessen. Zunächst schwankte er, ob er den Ball in Richtung England oder in Richtung Habsburgisches Kaiserreich spielen sollte, aber die österreichischen Einflussagenten leisteten ganze Arbeit: Ich wurde nicht Königin von England, sondern Markgräfin von Bayreuth. Welch Gegensatz! Aber ich will nicht klagen. Ich liebte meinen Angetrauten – solange er mir treu war.

Mein Bruder Fritz und ich blieben uns immer innig verbunden – während seiner Festungszeit in Küstrin und seiner Jahre in Rheinsberg. Als Fritz König wurde, gerieten wir in Gegensätze, die sogar in eine Sprachlosigkeit mündeten. Aber wir beide fanden einen Trick, unsere Verbindung zu retten: Wir ließen unsere Lieblingshunde miteinander korrespondieren.  Und die verrieten uns, was der jeweils andere dachte. Diese Zeit war für mich sowohl traurig, als auch lustig. Irgendwann war alles wieder im Lot und ich konnte endlich nach Berlin reisen, um Fritz zu besuchen. Dort traf ich wichtige Herren, den Philosophen Voltaire zum Beispiel oder den Musiker Quanz. Ich bemühte mich in Bayreuth so gut es nur ging, einen anspruchsvollen Hof zu führen.  Ich gründete eine Universität und eine Kunstakademie. Sogar eine Oper hab ich komponiert. Aus Bayreuth holte sich mein Bruder übrigens bedeutende Architekten für die Ausgestaltung seiner Residenz Potsdam. 

Einen Krieg gleichzeitig gegen Österreich, Russland und Frankreich zu führen, hielt ich für ein großes Unglück. Ich starb am 18. Oktober 1758, da war ich noch nicht einmal 50 Jahre alt. Mein Bruder Fritz erlitt am gleichen Tag bei Hochkirch mit seinen Truppen eine schmerzhafte Niederlage.

August Wilhelm von Preußen (1722 – 1758)

Der unglückliche Bruder

Ich bin August Wilhelm, Prinz von Preußen. Dieser Titel besagt, dass ich Thronfolger war. 1744 hat ihn mir der König, mein älterer Bruder, feierlich verliehen. 14 Jahre später war ich tot. Ich starb im Alter von 35 Jahren auf Schloss Oranienburg, wie es später hieß, „an gebrochenem Herzen“. So wurde mein Sohn zum Stammvater aller weiteren Hohenzollern auf dem preußischen und später deutschen Thron. 

Was war geschehen? Als mein Bruder 1712 geboren wurde, war unser Vater froh, endlich einen Thronfolger zu haben. Aber er merkte schnell, dass dieser Sohn schwer zu kontrollieren war. Sein Charakter war ganz anders, als er ihn sich wünschte. Als ich zehn Jahre später auf die Welt kam, war er glücklich über einen Ersatzthronfolger – für alle Fälle. Ich war offenbar genau so, wie er sich einen Sohn wünschte: klug und diszipliniert, ein kleiner Soldat. Trotz allem, auch mein älterer Bruder mochte mich: Ich hätte „den besten Charakter der Welt“. Als er in Rheinsberg lebte, war ich es, der ihn stets mit Neuigkeiten aus dem Elternhaus versorgte.

Als mein Bruder König wurde und bald darauf in den Krieg zog, konnte ich es nicht erwarten, mich als guter Soldat zu beweisen. Aber ich durfte anfangs nicht. Stattdessen tat mein Bruder etwas, was ich nicht verstehen konnte. Wie unser Vater ihn ohne seine Meinung anzuhören mit einer ungeliebten Frau vermählte, so vermählte mich mein Bruder ebenfalls über meinen Kopf hinweg. Ausgerechnet mit der Schwester seiner Ehefrau. Ein schönes Quartett! Zum Dank wurde ich Generalmajor und durfte ein Kürassier-Regiment befehligen. 1742 erlebte ich meine Feuertaufe. Unser Sieg war entscheidend für den anschließenden Friedensschluss zu unseren Bedingungen.

Im Zweiten Schlesischen Krieg wurde ich am Kopf verletzt und anschließend kaum noch eingesetzt. Für meinen Bruder Friedrich war inzwischen klar, dass er keine Kinder haben würde. So fiel die Thronfolge an mich und meine männlichen Nachkommen. Als ich zum „Prinz von Preußen“ erhoben wurde, war meine Frau bereits schwanger. Sehr erfolgreich sogar: Unser erstes Kind war ein Junge. Mein Bruder feuerte uns an, noch möglichst viele weitere Kinder zu zeugen. Das fiel mir nicht leicht, denn meine Liebe gehörte damals der Hofdame Sophie von Pannwitz. Fünf lange Jahre bettelte ich den König an, einer Scheidung von meiner Frau zuzustimmen. Erfolglos. Ihn interessierte auch nicht meine Meinung zum Bündnis mit England, das uns eine ganze Schar von Feinden bescherte: Österreich, Frankreich, Sachsen, Schweden, Russland. Die Folge war der Krieg, dessen Ende ich nicht mehr erleben sollte.

Nach der verlorenen Schlacht von Kolin erhielt mein Korps den Auftrag, beim Rückzug Friedrichs aus Böhmen die Lausitz und die Verbindung nach Schlesien zu decken. Obwohl (oder weil?) ich mich permanent mit meinen Offizieren beriet, wollte uns das Manöver nicht recht glücken. Die Truppen waren entkräftet, die Moral am Boden, täglich desertierten Soldaten. Mit Müh und Not kämpften wir uns nach Bautzen durch, wo mich mein Bruder erwartete. Der Zorn konnte nicht größer sein: „Kommandieren Sie einen Harem, wohlan; aber solange ich lebe, vertraue ich Ihnen keine zehn Mann mehr an.“ Die Flüche des Königs wurden immer kräftiger. Dabei war er es ja, der die Schlacht verloren hatte! 

Nur der jüngste Bruder Heinrich hielt noch zu mir. So zog ich mich auf meinen Landsitz Schloss Oranienburg zurück, das unser Großvater reichlich hatte ausstatten lassen. Eine Versöhnung mit mir suchte mein Bruder nicht. Ich erlitt einen Schlaganfall, an dessen Folgen ich 1758 starb. Die Welt hat mich schnell vergessen. Ich habe keinen Grund, auf meinen Sohn, den man wegen seiner Mätressenwirtschaft im Volk den „dicken Lüderjahn“ nannte, sonderlich stolz zu sein.

Friedrich Wilhelm von Rohdich (1719 – 1796)

Auf einmal floss da blaues Blut

Gestatten, Friedrich Wilhelm von Rohdich, geborener Rohdich ohne „von“. Den Adelstitel verlieh mir der große König höchstpersönlich. Das war von ihm der reine Egoismus. Denn es gab da ein Dilemma, das er anders nicht lösen konnte – oder wollte. Es war Gesetz im friderizianischen Heer, dass nur Adlige ins Offizierscorps aufsteigen konnten. Nun gingen aus den adligen Familien nicht immer die – wie sagt man? –  „hellsten Kerzen auf der Torte“ hervor. Der König legte allerdings Wert auf talentierte und gut ausgebildete Militärs in seiner Armee. Was also tun? Die Lösung war für ihn einfach: Man erhob geeignete Bürgerliche in den Adelsstand. Aus Überzeugung tat er das trotz aufgeklärter Geisteshaltung nicht. Aber was bleib ihm übrig, wenn er Streitkräfte haben wollte, vor denen sich die Welt fürchtete?

Vielleicht kennen Sie schon die Anekdote, wonach Friedrich bei Tisch gesagt haben soll: „Ich weiß nicht, woher es kömmt, dass aus den bürgerlichen Offizieren, wenn ich sie zu Edelleuten mache, nichts Rechtes werden will.“ Als ihm einer seiner Tischgenossen das Beispiel des Obersten Rohdich entgegenhielt, meinte er: „Ei was, der Oberst Rohdich ist ein alter Edelmann, das weiß ich besser.“ Nach Ansicht des Königs waren es nur Abkömmlinge adliger Familien, die ihm die geforderte Loyalität erweisen könnten. Er war da noch starrsinniger als sein Vater, der „Soldatenkönig“. Dessen bürgerliche Offiziere entließ Friedrich II. sofort nach seiner Thronbesteigung.

Aber spätestens nach seinen drei schlesischen Kriegen fiel ihm dieses Verdikt kräftig auf die Füße. Der preußische Adel hatte in den mal gewonnenen, mal verlorenen Schlachten einen gewaltigen Blutzoll zu entrichten. Nur ein Beispiel: Die alteingesessene Familie von Kleist musste 116 ihrer männlichen Mitglieder in die Armee Friedrichs entsenden. Dort gehörte es zur Offiziersehre, in den Schlachten ganz vorne zu kämpfen. Der König selbst bot dafür das Beispiel. 30 von Kleists fielen vor dem Feind. Es gab Adelsfamilien, die ganz und gar ausgelöscht wurden. Wo sollte da der Ersatz herkommen?

Die Kriege boten allerdings auch die Chance für einen raschen militärischen Aufstieg. Ich kam 1719 zu Beginn der Regentschaft des Vaters unseres verehrten Königs in Potsdam zur Welt. Mein Vater gehörte als Fähnrich zu den berühmten „Langen Kerls“. Ich machte in den Kriegen König Friedrichs rasch Karriere: Leutnant im ersten schlesischen Krieg, Premierleutnant im zweiten und Major im Siebenjährigen Krieg. Für meine Tapferkeit während der Schlacht um Prag erhielt ich 1757 den Orden „Pour le Mèrite“ und den Adelstitel dazu. Nach Kriegsende empfing ich als Kompaniechef das Patent als Oberst. Das war ein außerordentlicher Werdegang für einen Bürgerlichen. 

Als ich geadelt war, stand meinem weiteren Aufstieg nichts mehr im Weg. Ich wurde Direktor des vom „Soldatenkönig“ ins Leben gerufenen Großen Waisenhauses zu Potsdam. Hier bemühte ich mich nach Kräften, segensreich für die Zöglinge zu wirken. Auch um das Wohlergehen anderer Potsdamer Erziehungseinrichtungen sorgte ich mich. Ferner wurde ich Stadtkommandant von Potsdam. In dieser Funktion hatte ich täglich um 10 Uhr beim König zu erscheinen, um Meldung zu erstatten und die Tagesparole einzuholen. Am Tag seines Ablebens war ich der letzte Offizier, der ihn lebend gesehen hat. 

Auch der nachfolgende König war mir zugetan. Er beförderte mich zum Generalleutnant und machte mich für kurze Zeit zu seinem Kriegsminister und Mitglied des Geheimen Staatsrates. Dser von mir begründete Legatenfonds wirkt ja wohl immer noch in Ihrer Zeit und hilft in Not geratenen Angehörigen der Bundeswehr.