Dubslav von Stechlin (ca. 1830 – ca. 1895)
Das alter ego
Ich bin die Hauptfigur in Fontanes letztem Roman, der „Stechlin“. Er erschien zunächst im Oktober 1898 als Fortsetzungsroman in dem illustrierten Unterhaltungsblatt „Über Land und Meer“ und ein knappes Jahr später als Buch. Man braucht reichlich Geduld, um die über 400 Seiten zu bewältigen. Aber bedenken Sie: Damals steckte das Kino in den Kinderschuhen, Radio und Fernsehen existierten nicht einmal in kühnsten Fantasien. Da war ein Roman, der vorwiegend aus tiefsinnigen Gesprächen besteht, beste Unterhaltung. Dabei werden anhand aktueller Ereignisse alte, konservative Sichtweisen gegen neue, liberale und sozialdemokratische Tendenzen abgewogen.
Das Thema des Buches ist der Umbruch in ein neues Zeitalter, worüber alle Figuren in endlosen Gesprächen sinnieren und debattieren. Es geht um Demokratie, das Deutsche Reich und seine internationalen Beziehungen, um Industrialisierung und den sozialen Wandel. Die Handlung war dabei nicht das Entscheidende. Fontane fasste sie selbst ironisch zusammen: „Zum Schluss stirbt ein Alter und zwei Junge heiraten sich“.
Wenn Sie den Roman lesen, werden Sie eine Antwort auf die Frage finden, warum Theodor Fontane die vielen „Wanderungen“ ins Märkische unternommen hat: Er hat das Lokalkolorit für spätere literarische Werke gesucht und gefunden. Der „Stechlin“ ist voll davon. Die beschriebenen Landschaften stimmen haargenau, die handelnden Personen sind dagegen reinste Erfindung. Auch ich, der im Roman meist „alter Dubslav“ genannt wird. Ich will Ihnen verraten, dass es einen „von Stechlin“ in der Realität nie gegeben hat. Die Täuschung besteht darin, dass der von Fontane gewählte Familienname zugleich der Name eines der bekanntesten Seen in der Mark Brandenburg ist. Sein Wasser ist sprichwörtlich klar, und umgeben ist er von dunklen Wäldern. Dort können Sagen und Legenden sprießen. Zum Beispiel die vom „Roten Hanhn“.
In den „alten Dubslav“ hat Fontane viel von sich selbst hineingegeben. Ich bin das alter ego eines Mannes, der die Bilanz seines Lebens zieht. Hier zeigen sich Gelassenheit und Toleranz des Alters. Das ist es, was Fontane mit mir als Hauptperson seinen Lesern mit auf den Weg geben will. Hier spricht ein Mann, der die Schwächen seiner Zeit erkennt und in seinen Werken auch nicht verleugnet, dabei aber dennoch von einer tiefen Sympathie für das ist, was das Traditionelle ausmacht – in dem Fall des märkischen Adels.
Wie Fontane selbst, stirbt auch der „alte Dubslav“ still und schmerzlos. In seinem Roman gibt Fontane sogar eine Vorstellung davon, wie er sich seine Grabrede wünscht: „Er hatte vielmehr das, was über alles Zeitliche hinaus liegt, was immer gilt und immer gelten wird: ein Herz. … Das Goldene Kalb anbeten war nicht seine Sache. Daher kam es auch, dass er vor dem, was das Leben so vieler anderer verdirbt und unglücklich macht, bewahrt blieb, vor Neid und bösem Leumund. Er hatte keine Feinde, weil er selber keines Menschen Feind war. Er war die Güte selbst, die Verkörperung des alten Weisheitssatzes: ›Was du nicht willst, daß man dir tu‘.‹ Alles, was einst unser Herr und Heiland gepredigt und gerühmt und an das er die Segensverheißung geknüpft hat, – all das war sein: Friedfertigkeit, Barmherzigkeit und die Lauterkeit des Herzens.“