Elisabeth von Plotho (1853 – 1952)
Dichtung und Wahrheit
Ich, Elisabeth von Plotho, genannt „Else“, entstamme einem uralten Adelsgeschlecht derer von Plotho. Die Wasserburg Plothe bei Genthin war unser Stammsitz. Aber vielleicht kennen Sie mich eher unter dem Namen „Effi Briest“, denn es war in wesentlichen Zügen meine Geschichte, die Theodor Fontane in seinem gleichnamigen Roman verarbeitete. Ich gehe davon aus, dass Sie dessen Inhalt in groben Zügen kennen. Hier werden sehr drastisch die Konsequenzen aufgezeigt, mit denen in der Wilhelminischen Ära Übertretungen des damaligen Moralkodex geahndet wurden. Im Roman wird die erst siebzehnjährige Effi nach dem Willen ihrer Mutter mit dem viel älteren Baron von Innstetten verheiratet.
Die Ehe war nicht glücklich, denn die Karriere als preußischer Beamter war dem Ehemann stets wichtiger. Kein Wunder, dass sich Effi auf eine Affäre einließ. Jahre später erfuhr der Baron durch aufgefundene Briefe davon und fühlte sich in seiner Ehre gekränkt. Er tötete den einstigen Liebhaber im Duell, ließ sich von Effi scheiden und nahm ihr die Tochter. Auch die Eltern verstießen sie. Erst nach Jahren versöhnten sie sich mit der todkranken Tochter. Der Schlusssatz „… das ist ein zu weites Feld“ ist zu einem geflügelten Wort geworden.
„Effi Briest“ ist ein Musterbeispiel für die Kunst Fontanes, Wahrheit und Dichtung geschickt miteinander zu vermengen. Die untreue Ehefrau war ich. Mit 19 Jahren heiratete ich den in Rathenow stationierten Zieten-Husar Armand von Ardenne. Durch ihn lernte ich jenen Mann kennen, der unser Schicksal wurde und der im Duell starb. Dass ich aber als junge Frau vor Gram starb, ist zum Glück erfunden. Ich wurde fast 100 Jahre alt! Einer meiner Enkel war der spätere Physiker Manfred von Ardenne, dem im Jahr 1930 die weltweit erste Fernsehübertragung mit der Kathodenstrahlröhre gelang. Er war damals 23 Jahre alt. In seinen Memoiren von 1972 schrieb er
über eine seltsame Begegnung: „Ein weißhaariger Herr begrüßte mich mit den Worten: ‚Ihr Großvater hat meinen Vetter im Duell erschossen‘“. Dann berichtete der Wissenschaftler, dass ihm seine Großmutter die Briefe eines Emil Harwich mit der Bemerkung übergab, sie mögen einen Mann ins rechte Licht rücken, „der unendliches Leid, aber auch unendliches Glück in mein Leben gebracht hat“. Den Major Crampas aus dem Roman gab es also auch wirklich.
Ebenso hat es das Adelsgeschlecht derer von Briest bis 1822 wirklich gegeben. Auf diese Familie geht das Schloss Nennhausen im Havelland zurück. Im Roman bildet es die Kulisse für den Handlungsort „Hohen-Cremmen“. Hinter dem Ort „Kessin“ verbirgt sich allerdings die Stadt, in der Fontane seine Kindheit verbrachte: Swinemünde.
Die Effi hat es zu großer Berühmtheit gebracht. Mal eine Frage: Was haben die Schauspielerinnen Marianne Hoppe, Ruth Leuwerik, Angelika Domröse, Hanna Schygulla und Julia Jentsch gemeinsam? Die Lösung: Sie alle verkörperten mich, die Effi Briest, in Verfilmungen des Fontane-Romans in den Jahren 1939 bis 2009. Auch Bühnenfassungen und Hörspiele hat es gegeben. Sie sehen, ich bin ein nicht enden wollendes Medienereignis. Der Roman erschien zunächst übrigens nicht als Buch, sondern 1894/95 in sechs Folgen in der „Deutschen Rundschau“, jener hochangesehenen Zeitschrift des Bildungsbürgertums.
Es heißt, Fontane habe damit den deutschen Gesellschaftsroman mit aus der Taufe gehoben und gleichzeitig zur ersten Blüte gebracht. Wie viele Auflagen „Effi Briest“ in den vergangenen fast 130 Jahren erlebt hat, kann man nicht einmal schätzen. Es wird Zeit, dass die wahre Geschichte ans Licht kommt.