Otto von Bismarck (1815 – 1898), ab 1871 Fürst
Beinahe hätte er sein Leben verloren
Vorstellen muss ich mich Ihnen ja wohl nicht. Von 1871 bis 1890 war ich der erste Reichskanzler des Deutschen Reiches, und es ist wohl nicht verkehrt, wenn man mich als dessen Gründer bezeichnet. Fontane und ich waren beinahe Zeitgenossen. Er war vier Jahre jünger und starb nur zwei Monate nach mir. Ohne mich hätte sein Sterbedatum ein ganz anderes sein können, denn sehr wahrscheinlich verdankte er mir sein Leben.
Was hat sich zugetragen? Wichtig an dieser Geschichte ist zunächst, dass Theodor Fontane der Redaktion der Neuen Preußischen Kreuz-Zeitung angehörte, die ich 1848 mit aus der Taufe hob und der ich in den folgenden Jahren fast jeden Tag einen Beitrag lieferte. Ihre Leserschaft war wie ich streng konservativ und zählte zur Elite: Adel, hohe Offiziere, einflussreiche Beamte, Industrielle. Ab 1851 arbeitete Fontane als ihr Korrespondent in London. Nebenbei lancierte er im Auftrag des deutschen Botschafters preußenfreundliche Artikel in die britische Presse. Außerdem berichtete er vom Kriegsschauplatz im Deutsch-Dänischen Krieg. Ich bedauerte sehr, dass er 1870 – in entscheidender Zeit – zur liberalen „Vossischen Zeitung“ wechselte. Seine dortigen Theaterkritiken hab ich trotzdem gern gelesen. Auch die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ waren mir eine willkommene Lektüre.
Aber ich schweife ab: Kaum begann 1870 der Waffengang zwischen Deutschland und Frankreich, zog es den Haudegen Fontane an die Front. Dort geschah, was passieren musste: Er geriet in französische Gefangenschaft und wurde als Spion festgesetzt. Er hatte es zum Beispiel gewagt, hinter den französischen Linien das Heimatdorf der Nationalheldin Jeanne d’Arc zu besuchen. Nun musste er befürchten, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. In Preußen wäre ihm in diesem Fall die Todesstrafe sicher gewesen. Aber Fontane hatte viele Fürsprecher, die sich auf verschiedenen Wegen für ihn einsetzten. Einer davon war ich. Ich befand mich gerade an der Front in Versailles, als wir den Ring um Paris bereits geschlossen hatten.
Um mit den französischen Behörden in der Stadt in Kontakt zu treten, wandte ich mich an den Gesandten der Vereinigten Staaten von Amerika, der während des Krieges die Interessen der Deutschen in Frankreich vertrat. Ich schilderte ihm, in welcher Lebensgefahr sich der „wohlbekannte Geschichtsschreiber“ befand. Weiter: „Ich bitte Sie daher, die Güte zu haben, formell seine Freilassung von der französischen Regierung zu verlangen.“ Angefügt habe ich die Drohung, dass wir im Weigerungsfall eine „gewisse Anzahl“ von Franzosen verhaften und ihnen „die gleiche Behandlung zuteilwerden lassen“. Das hat gewirkt! Nach ein paar Tagen wurde Fontane freigelassen und durfte nach Genf ausreisen.
Von meiner Intervention zu seinen Gunsten hat Fontane allerdings nie erfahren. Er meinte bis zuletzt, es sei ein Zufall gewesen, der ihm das Leben rettete. Ich beließ ihn in diesem Glauben, und auch als wir uns am 24. 2. 1891 im „Habsburger Hof“ gegenüberstanden, erwähnte ich nur mein Vergnügen bei der Lektüre seiner „Wanderungen“. Ich wusste, dass er mich als einen der Großen, der ausersehen war, in der Geschichte Bleibendes zu bewirken, angesehen hat, aber mich als manchmal brutalen Machtmenschen nie richtig mochte. Das kann man versstehen. Fontane war eben kein Politiker.