Klara Ziegler (1844 – 1909)
Der stets freundliche, aber scharfe Kritiker
Also, wenn es nach dem Herren Theodor Fontane gegangen wäre, stünde meine Büste nicht in der Münchner Ruhmeshalle und es würde wohl kaum im gutbürgerlichen Münchner Stadtteil Waldperlach eine Straße nach mir benannt sein. Die Münchner wissen eben, was sie an mir hatten. Ich war am damaligen Hoftheater und am Gärtnerplatztheater als „erste Heldin“ engagiert. Ich gab all die großen Frauenrollen: die Medea, die Iphigenie, die Maria Stuart, die Jungfrau von Orleans… Und der Jubel des Publikums war mir sicher. Das nicht nur in meiner Heimatstadt München, sondern auch in Leipzig, Hamburg und an fast allen namhaften deutschen Theatern. Ich war berühmt für meine Sprachtechnik, die mir eine Stimme verlieh, mit der ich die größten Säle ausfüllen konnte. Gerühmt wurden auch meine ausdrucksvolle Gestik und Mimik.
Nicht so von jenem Herren Theodor Fontane, der eigentlich ein Reiseschriftsteller und Kriegsberichterstatter war und nun für die „Vossische Zeitung“ Theaterkritiken schrieb. Auf 740 Rezensionen mit dem Kürzel Th.F. soll er es gebracht haben. 1988, fünf Jahre nach dem Tod meines geliebten Ehemanns, führte mich das Schicksal an das Berliner Theater, das gerade mit Schillers Demetrius neu eröffnet worden war. Der Theaterdirektor Ludwig Barney holte die besten Schauspieler Deutschlands in sein Haus und feierte mit ihnen große Erfolge. Und was schrieb dieser Fontane über meine Gestaltung der „Medea“ in Grillparzers Stück? „Ihr ganzes Auftreten wirkt wie die Treppenhausbilder im Museum“. Also altbacken und angestaubt.
Und was schrieb er nach meinem Auftritt als „Brunhilde“ in Geibels gleichnamigem Stück? „Es ist ein chaotisches Durcheinander von Echtem und Unechtem, von Richtigem und Unrichtigem, von Hinreißendem und Abstoßendem, von Rührendem und Verzerrtem, von Einfachem und Maßlosen“. Trotzdem musste er eingestehen, dass mein Spiel trotz allem eine „Kolossalleistung“ war. Aber das Publikum liebte mich trotzdem. Ihn aber auch. Man las ihn gern, denn er formulierte seine Kritiken stets in einem Plauderton, der anscheinend nicht verletzend war. Fontane war in der Berliner Theaterwelt eine Instanz. 20 Jahre lang ließ er als Kritiker volltönend von sich hören.
Was soll man von einem Theaterkritiker halten, der das Skandalstück „Vor Sonnenaufgang“ von Gerhart Hauptmann ganz im Gegensatz zum Publikum frenetisch bejubelte. Anlässlich der Uraufführung am 20. Oktober 1889 durch den Theaterverein „Freie Bühne“ schrieb er von „Neuheit und Kühnheit der Probleme“ und „Schlichtheit der Sprache“. Hauptmann sei ein „entphraster Ibsen“. Für Fontane musste es auf der Bühne stets unkonventionell zugehen, vor allem aber realistisch: „Wer wirklich lebt, will reales Leben.“ Aber ist dieser Naturalismus die Zukunft des Theaters? Ich denke, Sie wundern sich nicht, dass es mich zurück nach München zog. Hier verschied ich 1909.