Theodor Storm (1817 – 1888)
Französischer Preuße und friesischer Nicht-Preuße
Fontane und ich waren Namensvettern: Theodor war unser beider Rufname. Davon abgesehen, dass wir uns beide in der Schriftstellerei versuchten, gibt es allerdings kaum Gemeinsamkeiten. Ich kam in Husum zur Welt. Das befand sich im Herzogtum Schleswig, damals ein dänisches, aber gemischt-sprachiges Lehen. Meine Familie war deutsch, wohlhabend. Die raue Nordsee hat uns zu einfachen, geradlinigen, vielleicht auch sturen Menschen gemacht. Ich gehörte zu denen, die sich während der Erhebung von 1848 bis 1851 gegen die dänische Fremdherrschaft engagierten.
Mein Verhalten „wider die Obrigkeit“ führte dazu, dass mir die Zulassung als Rechtsanwalt verwehrt wurde. Also machte ich mich auf den Weg in die preußische Hauptstadt. Aber dort empfing man mich keineswegs mit offenen Armen. Einen Aufmüpfigen mochten die Preußen nicht, auch wenn er für ihre Sache stritt. Suspekt wurde ich auch durch meine bisher veröffentlichten Verse und Novellen, in denen ich die überkommene Beamtenhierarchie und den in jeder Beziehung verkommenen Adel angriff. So verschaffte man mir gnädigst eine unbezahlte Anstellung am Kreisgericht in Potsdam. Ich führte dort mit meiner Familie ein kümmerliches Leben und verließ die Militärstadt nach drei Jahren wieder.
Das war im Jahr 1852, als ich Theodor Fontane kennenlernte. Wir trafen uns im Dichterverein „Rütli“, einem Ableger des einflussreichen „Tunnels über der Spree“. Der gab zunächst Gelegenheitspoeten eine Bühne, um ihre Verse vorzutragen. Der große Emanuel Geibel nannte den Verein „Kleindichterbewahranstalt“. Im Lauf der Zeit wuchsen jedoch die Ansprüche an das literarische Vermögen der Mitglieder, und der „Tunnel“ prägte für Jahrzehnte das kulturelle Leben in Berlin mit. Theodor Fontane, 1843 erstmals dortiger Gast, war ein beredtes Beispiel für die zunehmende Bedeutung. Im „Rütli“ trafen sich die anspruchsvolleren Köpfe. Hier durften sogar die Ehefrauen der Mitglieder zuhören. Mein erster Auftritt dort war ein Triumph, nicht zuletzt in der Damenwelt.
Fontane und ich hatten viele angeregte Unterhaltungen. Er meinte viel später, dass diese Begegnungen zu den glücklichsten Fügungen seines Lebens gehörten. Und das, obwohl er mich stets als die Verkörperung des Provinzialismus sah und gern die Unterschiede zwischen uns betonte! „Er war für den Husumer Deich, ich war für die London-Brücke.“ In seinen Erinnerungen „Von Zwanzig bis Dreißig“ widmete er mir immerhin ein ganzes Kapitel. Das aufstrebende, machtgierige Preußen, wie ich es in Potsdam und Berlin erleben musste, empörte mich. Hier wurde der Mensch nicht nach seiner Persönlichkeit beurteilt, sondern nach Rang, Titel und Orden.
Wenn Fontane auf meine Anwürfe gelassen reagierte, regte mich das noch mehr auf. Ich denke, er sprach mir einfach das Recht ab, als steifer Nicht-Preuße über seine geistige Heimat richten zu können. Trotzdem währte unser Briefwechsel ganze 35 Jahre. Wir schrieben über die geselligen Treffen in Berlin und in Potsdam, bei denen auch manchmal die Ehefrauen dabei waren, und wo wir uns gegenseitig aus eigenen Texten vorgelesen haben.