Sophie Marie Gräfin von Voß (1729 – 1814)
Alles selbst erlebt, worüber andere schrieben
Was habe ich da bloß angestellt? Konnte ich ahnen, dass sich der Prinz von Preußen, also der künftige König Friedrich Wilhelm II., in die kleine Julie, ich meine die 1766 geborene Julie Amalie Elisabeth von Voß, derart verguckt, dass er nicht von ihr lassen konnte. Und das, obwohl er 22 Jahre älter war, dazu mit Christine Ulrike von Braunschweig-Wolfenbüttel verheiratet und seit Jahren mit Wilhelmine Encke eine sogar von Friedrich dem Großen offiziell anerkennte Mätresse besaß – von vielen anderen Liebschaften einmal abgesehen. Da war der Spitzname „dicker Lüderjahn“, den ihm die Berliner gegeben hatten, noch geschmeichelt. Und ich Unglückliche hatte die beiden bekannt gemacht! Schließlich war mein Gemahl, Johann Ernst von Voß, in den 1780er Jahren Oberhofmeister der Königin Elisabeth Christine, die Friedrich der Große schnöde nach Schönhausen abgeschoben hatte. Nach seinem Tod durfte ich die Stelle des Oberhofmeisters bekleiden. Eine Oberhofmeisterin gab es damals noch nicht.
Die kleine Julie war die Tochter meines Schwagers, sie nannte mich Tante Sophie. Seit 1783 war sie als Hofdame der unglücklichen Königin in Schönhausen (für Sie ist es heute Niederschönhausen) zu Diensten. Genau dort stellte ich die kleine Julie dem Kronprinzen vor. Und das Unglück nahm seinen Lauf. Am 18. März 1786 notierte ich in meinem Tagebuch: „Der Prinz kam zum Diner nach Schönhausen, blieb den ganzen Nachmittag und Abend und schien nichts zu sehen, als Julie.“ Obwohl mir der Lüderjahn mehrfach versprochen hatte, die Hände von Julie zu lassen, stellte er ihr nach, wo es nur ging. Inzwischen König geworden, machte er sie auch noch zur Nebenfrau und heiratete sie „zur linken Hand“, ein Privileg gekrönter Häupter, um sich ganz offiziell einen Harem zuzulegen. Nun war sie mit
21 Jahren Gräfin von Ingenheim. Nicht einmal zwei Jahre später gebar sie einen Sohn und starb nach nur zwei Monaten an der galoppierenden Schwindsucht.
Jetzt wollen Sie wissen, was das alles mit dem Herrn Fontane zu tun hat. Im Band „Spreeland“ seiner Wanderungen durch die Mark Brandenburg gibt es das Kapitel „Julie von Voß“. Und woraus besteht dieses Kapitel? Zum größten Teil aus Zitaten aus meinen Tagebuchaufzeichnungen, in denen ich 69 Jahre am preußischen Hof unter vier Königen Revue passieren lasse. Sie wurden 1876 erstmals veröffentlicht, als Fontane bereits 57 Jahre alt war. Ja, das hatte ich bereits im Januar 1784 geschrieben und Fontane hat es zitiert: „Julie v. Voß war eine Schönheit im Genre Tizians, schlank und voll zugleich, von schönen Formen und feinen Zügen, blendend, aber von einer marmorähnlichen Blässe, die noch durch ein überaus reiches rötliches Haar gehoben wurde.“ Ich habe, wie man nachlesen kann, nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich diese Liaison äußerst kritisch sah. „Ich fürchte, sie ist nicht unempfindlich für seine Bewunderung, und sie wird sich durch ein solches Gefühl nur selbst unglücklich machen.“ Ich wusste, wovon ich schrieb, denn es war just der Vater dieses Lüderjahns, der an Kummer über sein Schicksal 1758 in Oranienburg verstorbene August Wilhelm von Preußen, in den ich ebenfalls unglücklich verliebt war.