Albert Einstein (1879 – 1955)
Genies hatten es nicht immer leicht
Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, ausgerechnet von mir eine Wertung Friedrichs des Großen zu erwarten? Ich hatte mit diesem Gernegroß nie viel am Hut und noch weniger mit den Hurra-Patrioten, die ihn zu meiner Zeit als ihren Heiland feierten. Aber Sie wollen von mir ja nicht wissen, was ich von seinen Schlachten hielt. Die sind von Heerscharen an Militärhistorikern ohnehin besser erforscht als die Bedeutung der Milchsäurebakterien fürs Brotbacken. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es für mich gewesen sein musste, unter Friedrichs Fuchtel zu leben.
Ja, es hätte noch viel schlimmer kommen können. Im Gegensatz zu seinem Vater, dem „Soldatenkönig“, zollte er den Männern der Wissenschaft immerhin einen gewissen Respekt. Das traurige Schicksal des gelehrten Jakob Gundling, der in der Männerrunde des Tabakskollegiums zum Hofnarren gemacht wurde, wäre an der Tafelrunde Friedrichs nicht denkbar gewesen. Der schmückte sich gern mit Geistesgrößen. Er empfand sich in ihrer Gesellschaft als Gleicher unter Gleichen – naja, Fast-Gleichen. Nehmen wir den großen Pierre-Louis Moreau de Maupertuis, ein Universalgenie, Mitglied der Akademien in Paris und London! Mathematiker, Astronom, Philosoph. Er war durch eine Lappland-Expedition zu Berühmtheit gelangt. Friedrich wollte ihn aber unbedingt nach Berlin holen. Also schrieb er ihm: „Sie haben der Menschheit die Gestalt der Erde gezeigt – zeigen Sie auch einem König, wie süß es ist, einen Mann wie Sie zu besitzen.“ Besitzen! – da fällt mir nichts mehr dazu ein.
Wissenschaftlich konnte Friedrich mit Maupertuis sowieso nichts anfangen. So geriet der arme Mann in das Netz der Intrigen am preußischen Hof und kehrte Berlin schließlich den Rücken. Als letzte Aufmerksamkeit verlieh ihm der König noch den Orden Pour le Mérite, gestiftet für besondere Tapferkeit im Krieg. Oder schauen wir auf das Schicksal von Leonhard Euler. Ein Mathematiker, vor dem ich ganz tief den Hut ziehe. Alles, was einem bei hoher Mathematik so einfällt, ist ihm schon durch den Kopf gegangen. Seine Werke füllen Bibliotheken. Und wozu benutzte ihn der „große“ Friedrich? Zum Ausrechnen der Fließgeschwindigkeit der Kanäle im trockengelegten Oderbruch. Und für die Weiterentwicklung der Ballistik. Zum Glück hat zu Eulers Zeiten niemand behauptet, er hätte die Kanone erfunden, so wie man mir nachsagte, ich hätte an der Atombombe mitgebaut. Immerhin hat Euler ein Lehrbuch für Artilleristen geschrieben, das auch einem Napoleon Bonaparte als Studienlektüre diente. Eine populäre Einführung in die Mathematik und Physik hat er übrigens auch geschrieben. Meinen Sie jetzt, dass Friedrich der fragende Part war? Wo denken Sie hin, es war dessen Nichte, die Prinzessin Charlotte von Brandenburg-Schwedt. Euler war zwar Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, aber für Friedrich war es unter seiner Würde, mit einem Deutschsprachler (Euler war von Geburt Schweizer) zu verkehren. Auch sie trennten sich im Zwist. Euler ging zur Zarin Katharina II. nach St. Petersburg.
Genügt Ihnen das, um Ihnen zu beweisen, dass es mir zu Zeiten des Alten Fritz nicht sonderlich gut ergangen wäre. Höchstwahrscheinlich wäre ich damals auch emigriert. Aber ich muss sagen, dass die Jahre in Potsdam, als ich das schöne Sommerhaus am Hang in Caputh bewohnte, zu den schönsten meines Lebens zählten. Wie viel Freude hatte ich bei den Segeltörns in den Potsdamer Gewässern. Und dass es die anmutige Havel-Landschaft war, die auch Friedrich II. nach Potsdam zog, könnte mich, den Pazifisten, sogar mit diesem verknöcherten Bellizisten versöhnen.
Zwei Dinge sollte ich noch anfügen. Erstens gab es einen Astronomen, der 1782 ein Sternbild „erfand“, das er „Honores Friderici“ (Zu Ehren Friedrichs) nannte. Zum Glück geriet es schnell in Vergessenheit. Und zweitens: Mein Name ist Albert Einstein. Und dass ein Observatorium auf dem Potsdamer Telegrafenberg meinen Namen trägt, ehrt mich sehr. Gearbeitet habe ich dort jedoch nicht.