Adolph von Menzel (1815 – 1905)
Kunst oder was?
Geben Sie es zu, Sie hätten mich beinahe übersehen. Gewöhnen Sie sich gefälligst ab, Menschen nach ihrer Körpergröße zu bewerten! Mit meinen 1,34 Meter war ich jedenfalls ein Großer: Ehrendoktor der Berliner Universität, Ehrenbürger Berlins, St. Petersburgs und Breslaus, Träger des Kreuzes der französischen Ehrenlegion, Träger des Titels „Geheimer Rat“, Ernennung zum Ritter des Schwarzen Adlerordens und Erhebung in den erblichen Adelsstand. Genügt das fürs Erste? Mich selbst hat das alles nie beeindruckt.
Haben Sie schon die Gedenkplatte gelesen, die an dem Haus angebracht ist, in dem ich 13 Jahre lang wohnte? Es steht in der Ritterstraße 43 in Berlin-Kreuzberg. Nach meinen Lebensdaten – richtig: 1815 bis 1905 – heißt es dort, ich hätte „mit meinem zeichnerischen Werk das offizielle Bild der preußischen Geschichte zur Zeit Friedrichs des Großen“ geschaffen. Es gibt zwar keine offizielle Geschichte Preußens, aber ein offizielles Bild! Wie kann man nur solchen Unsinn verbreiten?
Ich gebe es gern zu: Dem Kaiser haben meine Bilder gefallen. Und ich habe einige staatstragende Gemälde im persönlichen Auftrag der Majestäten hergestellt. Aber ich habe in jedem dieser Aufträge stets eine künstlerische Aufgabe gesehen. Vergleichen Sie doch einfach einmal mein Gemälde von der Königskrönung zu Königsberg 1861 und das von Anton von Werner zur Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches 1871. Da werden Sie den Unterschied zwischen Kunst und Propaganda deutlich sehen. So viel dazu.
Aber jetzt zu Friedrich dem Großen. Ich habe ihm viel zu verdanken. Und er mir. Sein Andenken für alle Zeiten ist sehr stark von mir geprägt. Darauf bin ich stolz. Aber verwechseln Sie das bitte nicht mit einem „offiziellen Bild“. Es war zweifellos eine besondere Fügung, dass Franz Kugler und ich zusammenfanden, um eine volkstümliche und zeitgemäße Geschichte Friedrichs des Großen herauszugeben. Meine Bilder sollten sich in den Erzählstrom einfügen, ihn nicht aufhalten, auch nicht in andere Richtungen lenken. Das hieß für mich, mit meinen Zeichnungen genau so zu erzählen, wie es der Dichter mit Worten tat. Zwischen 1839 und 1842 fertigte ich fast 400 Holzstiche an. Das war eine erst junge Technik, bei der die Zeichnung auf grundiertes Hartholz aufgebracht wird und dann von hervorragenden Holzstechern als Druckplatte hergerichtet wird. Ich wollte mit meinen Illustrationen kleine Geschichten erzählen. Dafür musste die Hauptperson nicht immer im Mittelpunkt stehen. Die Zahl der handelnden Personen wurde damit riesig. Aber gleichzeitig wurde der König in Aktion versetzt – wir sehen ihn im Gespräch, beim Ritt, im Gefecht, einsam am Schreibtisch.
Ich habe versucht, mich einzufühlen. Nicht nur in den König, auch in seine Umgebung, ja, in das Volk, das unter seiner Regierung lebte und dabei nicht nur gute Tage hatte. Sie alle waren Menschen mit Gefühlen und Sehnsüchten. Also musste ich mich zurückversetzen in die Zeit meiner Großeltern. Als noch nicht einmal 30-Jähriger wurde ich zum Zeitreisenden – ziemlich jung für so viel Historie. Einer Gefahr musste ich begegnen: mich in Details zu verlieren, denn die Versuchung war groß, alles zu zeigen, was überliefert war. Stattdessen machte ich es mir zur Aufgabe, Situationen zu verdichten und die Details der Fantasie der Beschauer zu überlassen.
Ich freue mich zu hören, dass das Buch von Kugler und mir immer noch verlegt wird. Also habe ich doch ein Bild von Friedrich dem Großen in die Hirne eingebrannt. Und stellen Sie sich vor: Als das neue Medium Film sich des Themas Fridericus Rex annahm, waren es meine Bilder, die den Regisseuren als Vorlagen für ihre Szenografie dienten. Neue Ideen? Fehlanzeige. Dafür möge man mich nicht verantwortlich machen! Schließlich: Bitte vergessen Sie nicht meine Bilder aus der Arbeitswelt. Das „Eisenwalzwerk“ zum Beispiel.