August Wilhelm von Preußen (1722 – 1758)
Der unglückliche Bruder
Ich bin August Wilhelm, Prinz von Preußen. Dieser Titel besagt, dass ich Thronfolger war. 1744 hat ihn mir der König, mein älterer Bruder, feierlich verliehen. 14 Jahre später war ich tot. Ich starb im Alter von 35 Jahren auf Schloss Oranienburg, wie es später hieß, „an gebrochenem Herzen“. So wurde mein Sohn zum Stammvater aller weiteren Hohenzollern auf dem preußischen und später deutschen Thron.
Was war geschehen? Als mein Bruder 1712 geboren wurde, war unser Vater froh, endlich einen Thronfolger zu haben. Aber er merkte schnell, dass dieser Sohn schwer zu kontrollieren war. Sein Charakter war ganz anders, als er ihn sich wünschte. Als ich zehn Jahre später auf die Welt kam, war er glücklich über einen Ersatzthronfolger – für alle Fälle. Ich war offenbar genau so, wie er sich einen Sohn wünschte: klug und diszipliniert, ein kleiner Soldat. Trotz allem, auch mein älterer Bruder mochte mich: Ich hätte „den besten Charakter der Welt“. Als er in Rheinsberg lebte, war ich es, der ihn stets mit Neuigkeiten aus dem Elternhaus versorgte.
Als mein Bruder König wurde und bald darauf in den Krieg zog, konnte ich es nicht erwarten, mich als guter Soldat zu beweisen. Aber ich durfte anfangs nicht. Stattdessen tat mein Bruder etwas, was ich nicht verstehen konnte. Wie unser Vater ihn ohne seine Meinung anzuhören mit einer ungeliebten Frau vermählte, so vermählte mich mein Bruder ebenfalls über meinen Kopf hinweg. Ausgerechnet mit der Schwester seiner Ehefrau. Ein schönes Quartett! Zum Dank wurde ich Generalmajor und durfte ein Kürassier-Regiment befehligen. 1742 erlebte ich meine Feuertaufe. Unser Sieg war entscheidend für den anschließenden Friedensschluss zu unseren Bedingungen.
Im Zweiten Schlesischen Krieg wurde ich am Kopf verletzt und anschließend kaum noch eingesetzt. Für meinen Bruder Friedrich war inzwischen klar, dass er keine Kinder haben würde. So fiel die Thronfolge an mich und meine männlichen Nachkommen. Als ich zum „Prinz von Preußen“ erhoben wurde, war meine Frau bereits schwanger. Sehr erfolgreich sogar: Unser erstes Kind war ein Junge. Mein Bruder feuerte uns an, noch möglichst viele weitere Kinder zu zeugen. Das fiel mir nicht leicht, denn meine Liebe gehörte damals der Hofdame Sophie von Pannwitz. Fünf lange Jahre bettelte ich den König an, einer Scheidung von meiner Frau zuzustimmen. Erfolglos. Ihn interessierte auch nicht meine Meinung zum Bündnis mit England, das uns eine ganze Schar von Feinden bescherte: Österreich, Frankreich, Sachsen, Schweden, Russland. Die Folge war der Krieg, dessen Ende ich nicht mehr erleben sollte.
Nach der verlorenen Schlacht von Kolin erhielt mein Korps den Auftrag, beim Rückzug Friedrichs aus Böhmen die Lausitz und die Verbindung nach Schlesien zu decken. Obwohl (oder weil?) ich mich permanent mit meinen Offizieren beriet, wollte uns das Manöver nicht recht glücken. Die Truppen waren entkräftet, die Moral am Boden, täglich desertierten Soldaten. Mit Müh und Not kämpften wir uns nach Bautzen durch, wo mich mein Bruder erwartete. Der Zorn konnte nicht größer sein: „Kommandieren Sie einen Harem, wohlan; aber solange ich lebe, vertraue ich Ihnen keine zehn Mann mehr an.“ Die Flüche des Königs wurden immer kräftiger. Dabei war er es ja, der die Schlacht verloren hatte!
Nur der jüngste Bruder Heinrich hielt noch zu mir. So zog ich mich auf meinen Landsitz Schloss Oranienburg zurück, das unser Großvater reichlich hatte ausstatten lassen. Eine Versöhnung mit mir suchte mein Bruder nicht. Ich erlitt einen Schlaganfall, an dessen Folgen ich 1758 starb. Die Welt hat mich schnell vergessen. Ich habe keinen Grund, auf meinen Sohn, den man wegen seiner Mätressenwirtschaft im Volk den „dicken Lüderjahn“ nannte, sonderlich stolz zu sein.