Johann Wilhelm Grävenitz (1709 – 1764?)
Der Müller von Sanssouci
Muss ich mich etwa noch vorstellen? Den Grävenitz kennt doch jeder! Wer jemals vom Alten Fritz gehört hat, hat ganz sicher auch vom Müller von Sanssouci gehört und seinem angeblichen Vertrauen ins Berliner Kammergericht. Aber nun mal sacht und von Anfang an. Schon zu Zeiten des Vaters von Friedrich II., dem allbekannten „Soldatenkönig“, passierte in und um Potsdam nichts, was der König nicht selbst angeordnet hätte. Es war eben seine Stadt. Und wenn der König meinte, seine Garnison bekäme nicht genug Mehl zum Brotbacken, dann griff er in die Schatulle und spendierte eine Mühle und noch eine und noch eine…. Im Todesjahr des Alten Fritz drehten sich in der Hügellandschaft rund um Potsdam die Flügel von 26 Windmühlen. Das bedeutete für jeden Müller eine riesige Konkurrenz. Jeder musste zusehen, wo er blieb. Dass ich überhaupt eine Mühle betreiben durfte, lag wohl daran, dass mein Bruder bereits eine auf dem Bornstedter Feld betrieb. So erhielt ich 1737 den Platz für eine neue Mühle zugewiesen – ausgerechnet auf dem „Wüsten Berg“ zwischen Potsdam und Bornstedt. Wer konnte damals ahnen, dass rund zehn Jahre später der neue König ein Lustschluss genau neben meine Mühle bauen würde? Die Nachbarschaft zwischen einem Müller und einem König ist nun einmal eine heikle Sache.
Haben Sie schon einmal eine Windmühle aufgebaut? Wenn ja, dann hätten Sie eine Ahnung, welche Plackerei das ist: ihren Ort zu planieren, die Hölzer heranzukarren, zurechtzusägen, sie zu verbinden, das Mühlenhaus zu bauen, die Königswelle einzusetzen, das Kammrad passend zu machen und das schwere Mühlrad an seinen Platz zubringen. Über ein Jahr hat es gedauert, bis ich das erste Korn zu Mehl vermahlen konnte. Aber denken Sie nicht, ich sei nun ein reicher Mann geworden. Erstens musste ich die Schulden für den Bau in Höhe von 800 Taler bezahlen, und zweitens sollte ich auch noch einen Pachtzins von 40 Talern aufbringen. Dann kam auch noch das Militärwaisenhaus und wollte kassieren, weil meine Mühle auf dessen Grundstück stand. Und dann das Lustschloss, das Friedrich II. „Sanssouci“ – „ohne Sorge“ – nannte. Ich bekam nun allerdings viele Sorgen. Die Bauarbeiten für das Schloss machten die Wege zu meiner Mühle fast unpassierbar, es wurde Sand abgetragen, sodass ich befürchten musste, dass meine Mühle den Halt verliert, kaum ein Bauer traute sich dann noch an den Wachen vorbei in die Nähe des Königsschlosses, und schließlich nahm mir der Alte Fritz (der damals allerdings noch recht jung war) mit seinen Mauern und Bäumen auch noch den Wind weg. Als ich bereits darüber nachdachte, meine Mühle an einen anderen Ort zu verlegen, war es nun der König, der protestierte. Er meinte, die Mühle gereiche dem Schloss „zur Zierde“. Also untersagte er den Abriss, erließ mir aber die Pacht. Wir hatten uns also geeinigt.
Aber Sie fragen nach der Sache mit dem Kammergericht, die eine nicht totzukriegende preußische Legende ist. Angeblich soll mit der König gedroht haben, die Mühle abzureißen, weil ihn das „Geklapper“ störe. Hier können Sie schon feststellen, dass an der Geschichte etwas nicht stimmen kann, denn es sind bekanntlich Wassermühlen, die klappern, und nicht Windmühlen. Die Legende geht dann so weiter: Der König habe verlangt, dass ich ihm die Mühle verkaufe. Als ich mich weigerte, soll er gesagt haben: „Weiß er denn nicht, dass ich ihm kraft meiner königlichen Macht die Mühle wegnehmen kann, ohne auch nur einen Groschen dafür zu bezahlen?“ Worauf ich geantwortet haben soll: „Gewiss, Eure Majestät, das könnten Sie wohl tun, wenn es – mit Verlaub gesagt – nicht das Kammergericht in Berlin gäbe.“ Mit dieser Legende sollte ein Hohelied auf die preußische Rechtsprechung gesungen werden.
Und noch etwas stimmt an der ganzen Geschichte nicht. Die Legende vom Müller von Sanssouci wird häufig mit einer Mühle illustriert, die unschwer als Galerieholländer zu identifizieren ist. Eine solche Mühle wurde aber erst errichtet, als ich und mein König nicht mehr unter den Lebenden weilten.